Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2018 Seite 2 von 4

fischernetz (detail)

Ins Netz gegangen (5.7.)

Ins Netz gegan­gen am 5.7.:

  • Does Philo­soph­i­cal Lan­guage Have to Be Dif­fi­cult? | Blog of the APA → grant maxwell erk­lärt ziem­lich kurz und schlüs­sig, warum philoso­phie manch­mal schwierige sprache benutzen muss:

    writ­ers like G.W.F. Hegel or Alfred North White­head or Jacques Der­ri­da weren’t sim­ply writ­ing works (which still stand as paragons of ver­bal com­plex­i­ty) to con­fuse or beguile their read­ers. They were cre­at­ing new forms of lan­guage to widen the scope of what could be expressed. […] The process of gen­er­at­ing mean­ing is a con­stant nego­ti­a­tion between our cur­rent world views, embod­ied in vast net­works of words and oth­er sym­bols, and the con­strain­ing facts of exis­tence, both the mate­r­i­al rela­tions of the world and our own intrin­sic char­ac­ters. And the more we inquire into these appar­ent­ly objec­tive facts, the more we find that they are more like habits or ten­den­cies sus­cep­ti­ble to a star­tling­ly broad range of pos­si­ble con­struc­tions. The semi­otic net­works con­sti­tut­ing our world views evolve, as ideas don’t exist in a vac­u­um, but are devel­oped through a con­ver­sa­tion that has been occur­ring for thou­sands of years, with each reply requir­ing a gen­er­a­tion, or some­times even cen­turies for its fullest expres­sion. To abstract ideas from their his­tor­i­cal con­text, and from the lan­guage devel­oped to describe them in ever-greater nuance, would be to flat­ten the com­plex­i­ty of these con­cepts, which com­prise the under­ly­ing modes of thought that have implic­it­ly informed the more explic­it his­tor­i­cal occur­rences.

  • «Ital­ien betreibt eine Fusion von Pop­ulis­mus und Tech­nokratie» | NZZ → ein span­nen­des inter­view mit jan-wern­er müller über die her­aus­forderung der antiplu­arlis­ten (pop­ulis­ten und tech­nokrat­en) für die mod­er­nen demokra­tien

    Bei­de schein­bar gegen­sät­zliche Frak­tio­nen sind let­ztlich Antiplu­ral­is­ten. Die Tech­nokrat­en erk­lären, es gebe nur die eine ratio­nale Lösung. Es brauche keine Debat­te, auch keine par­la­men­tarische Auseinan­der­set­zung, weil es für vernün­ftige Men­schen nichts zu disku­tieren gebe. Die Pop­ulis­ten behaupten wiederum, es gebe nur den einen authen­tis­chen Volk­swillen. Und sie seien die Einzi­gen, die ihn ver­stün­den und verträten.

  • Finnegans wachen don­ner­stags auf| a tem­po → ein sehr sym­pa­this­ches gespräch mit fritz senn, einem der besten joyce-ken­ner, über seine joyce-lek­türen und ‑forschun­gen — und die zufäl­ligkeit­en des lebens
  • Schule der Gewalt | Zeit → ute fre­vert hat einen schö­nen überblick über die geschichte der wehrpflicht (in deutsch­land) geschrieben
  • Sind wir noch gute Europäer? | Zeit → jür­gen haber­mas muss noch/mal wieder ran und den lust- und ideen­losen zus­tand europas und ins­beson­dere der eu — und ihrer (nationalen) poli­tis­chen eliten — scharf­sin­nig analysieren. zum beispiel:

    Der Recht­spop­ulis­mus ver­dankt sich in erster Lin­ie der ver­bre­it­eten Wahrnehmung der Betrof­fe­nen, dass der EU der poli­tis­che Wille fehlt, hand­lungs­fähig zu wer­den. Der heute im Zer­fall begrif­f­ene Kern Europas wäre in Gestalt ein­er hand­lungs­fähi­gen Euro-Union die einzige denkbare Kraft gegen eine weit­ere Zer­störung unseres viel beschwore­nen Sozialmod­ells. In ihrer gegen­wär­ti­gen Ver­fas­sung kann die Union diese gefährliche Desta­bil­isierung nur noch beschle­u­ni­gen. Die Ursache des trump­is­tis­chen Zer­falls Europas ist das zunehmende und weiß Gott real­is­tis­che Bewusst­sein der europäis­chen Bevölkerun­gen, dass der glaub­hafte poli­tis­che Wille fehlt, aus diesem Teufel­skreis auszubrechen. Stattdessen versinken die poli­tis­chen Eliten im Sog eines klein­müti­gen, demoskopisch ges­teuerten Oppor­tunis­mus kurzfristiger Machter­hal­tung

Strahlende Lichter: Das erste Album von Voxid

voxid, shades of light (cover)Das ist keine Musik für sparsame Haushal­ter. Denn Vox­id hält sich nicht zurück. Im Gegen­teil: Das Quin­tett singt, als gäbe es ein­fach kein Mor­gen mehr. Auf Shades of light gibt es näm­lich alles im Über­fluss: Klang, Sound und Ideen. Nichts wird zurück­ge­hal­ten, immer geht es in die vollen. Vox­id muss sich ja auch nicht ein­schränken, sie haben ein­fach ein schi­er uner­schöpflich­es Reper­toire an Möglichkeit­en. Und das nutzen sie für die zwölf Songs auch vol­lkom­men unge­niert aus. Es begin­nt schon beze­ich­nend mit Imo­gen Heaps „Head­lock“: Der Sound ist fett und luftig zugle­ich, die Musik klingt leicht und ernst, solide und spaßig gle­icher­maßen. Auch wenn das Quin­tett behauptet, „Music ain‘t my thing“, merkt man in jedem Moment: Hier nimmt jemand Pop sehr ernst – mit grandiosem Ergeb­nis. Vor allem, weil sich Vox­id als unge­heuer eng gefügtes Ensem­ble hören lässt: Da ist jede Stimme in jedem Moment an ihrem Platz.

MUSIC AIN’T MY THING by VOXID [offi­cial video clip]

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Eine andere Marke, die gle­ich geset­zt wird, ist das Niveau der Arrange­ments: Vox­id (früher schon einige Jahre unter dem Namen “tonal­rausch” unter­wegs) gibt sich nicht mit Dutzend­ware zufrieden. Deshalb kom­ponieren und arrang­ieren sie auch (fast) alles selb­st. Und das hört man, die genaue Pas­sung auf die Stim­men und das Ensem­ble funk­tion­iert wun­der­bar. Denn die Arrange­ments – und wirk­lich alle – sind ganz ein­fach großar­tig vielfältig, sprühen vor Ideen und stellen sich doch atmo­sphärisch ganz genau in den Dienst der Songs. Bei „Save your soul“ von Jamie Cul­lum zum Beispiel verbinden sich Flächen und Lin­ien mit dicht ver­wobe­nen Tex­turen und klan­glichen Reliefs. Und Vox­id singt das auch immer so, dass man nur zus­tim­mend nick­en kann: Jed­er Klang, jede Lin­ie, jed­er Akko­rd strotzt vor Energie, alles ertönt unge­heuer kraftvoll (man muss nur kurz in „Musi­cal Trea­sure“ hinein­hören!), aber mit ganz entspan­ntem Druck. Denn das Quin­tett erre­icht sein musikalis­ches und emo­tionales Durch­set­zungsver­mö­gen ganz ohne hör­bare Anstren­gung.

Das Beste – wenn man das aus einem Album von so gle­ich­bleibend hoher Qual­ität über­haupt her­ausheben kann – ste­ht am Ende: Zunächst „Edge“, das noch ein­mal mit voller Pow­er auf die Ziel­ger­ade ein­biegt und in dem vortr­e­f­flich gestaffel­ten Arrange­ment zwis­chen leichter Beat­box und inten­siv­er Melodie all die feinen Qual­itäten ihrer Ensem­blekun­st präsen­tiert. Aber dann fol­gt noch, als Bonus­track, eine beza­ubernde Ver­sion von „I fade away“, das sowieso die schön­ste Melodie der CD aufweist und hier im Remix mit Syn­the­siz­er-Ein­satz noch klan­glich aufgepeppt wird. Ger­ade das hätte Vox­id aber über­haupt nicht nötig, nach­dem es in den 50 Minuten davor so eine bril­lante Leis­tungss­chau des Vocal Pop präsen­tierte.

Vox­id: Shades of light. RUM Records 2018. 51:13 Spielzeit.

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #50, Juni 2018)

MUSICAL TREASURE by VOXID [offi­cial Video Clip]

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spinnennetz in blühpflanzen

Ins Netz gegangen (17.6.)

Ins Netz gegan­gen am 17.6.:

  • Reisezeitun­ter­schiede unter­schiedlich­er Verkehrsarten von Tür zu Tür im Stadtverkehr – Real­ität und sub­jek­tive Wahrnehmungsverz­er­rung | Zukun­ft Mobil­ität → mar­tin ran­del­hoff hat eine schöne über­sicht über (durch­schnit­tliche) reisezeit­en im stadtverkehr zusam­mengestellt

    Eine Ursache für diese Verteilung mit ein­er starken Pkw-Nutzung auch bei gerin­gen Ent­fer­nun­gen liegt in ein­er häu­fig anzutr­e­f­fend­en sub­jek­tiv­en Fehlwahrnehmung bei der Bew­er­tung der Schnel­ligkeit bzw. der Reisezeit.

  • “Der eigent­liche Skan­dal liegt ganz woan­ders” | LTO → er anwalt son­nen­berg find­et deut­liche worte:

    LTO: Was hat die Aus­sage von CSU-Lan­des­grup­penchef Alexan­der Dobrindt zur “aggres­siv­en Anti-Abschiebe-Indus­trie” seit­ens der Anwälte bei Ihnen aus­gelöst?

    Son­nen­berg: Das ist eine saudumme sowie kack­freche Aus­sage von einem, der keine Ahnung hat. Das ist ein Dumm­schwätzer der Mann, das kön­nen Sie gerne so zitieren.

  • The Lifes­pan of a Lie | Medi­um → das stan­ford prison exper­i­ment ist wohl kaum noch als ern­sthaftes exper­i­ment zu hal­ten

    The appeal of the Stan­ford prison exper­i­ment seems to go deep­er than its sci­en­tif­ic valid­i­ty, per­haps because it tells us a sto­ry about our­selves that we des­per­ate­ly want to believe: that we, as indi­vid­u­als, can­not real­ly be held account­able for the some­times rep­re­hen­si­ble things we do. As trou­bling as it might seem to accept Zimbardo’s fall­en vision of human nature, it is also pro­found­ly lib­er­at­ing. It means we’re off the hook. Our actions are deter­mined by cir­cum­stance. Our fal­li­bil­i­ty is sit­u­a­tion­al. Just as the Gospel promised to absolve us of our sins if we would only believe, the SPE offered a form of redemp­tion tai­lor-made for a sci­en­tif­ic era, and we embraced it.

  • Two Hun­dred Fifty Things An Archi­tect Should Know | Read­ing Design → wun­der­bare liste von din­gen, die architek­ten — und eigentlich nicht nur die — wis­sen soll­ten, hat michael sorkin hier zusam­mengestellt
  • Hat das E‑Book eine Zukun­ft? | Medi­um → andré spiegel über das ebook und die zukun­ft

    Ich habe mir irgend­wann gesagt: Okay, es wird also in Zukun­ft alles in bei­den For­mat­en geben, auf Papi­er und dig­i­tal. Aber mit der Zeit musste ich ein­se­hen, dass die alten Bestände, alles was bis zum Ende des zwanzig­sten Jahrhun­derts erschienen ist, nur sehr begren­zt in die dig­i­tale Welt rüberge­lan­gen wer­den. Das ganze Suhrkamp-Uni­ver­sum allein: alles weg, und das wird sich auch nicht mehr ändern. Dann habe ich mir gesagt: Okay, also wird wenig­stens alles, was ab dem ein­undzwanzig­sten Jahrhun­dert erscheint, in bei­den Wel­ten vorhan­den sein. Aber jet­zt lerne ich, dass auch das nicht stimmt.

  • Debat­te oder Protest: Wie weit­er gegen rechts? | Blät­ter für deutsche und inter­na­tionale Poli­tik → warum die idee, man müsse nur mit den recht­en “reden”, unsinn ist und am prob­lem vor­bei geht:

    Sich selb­st in diese Tra­di­tion stel­lend, beschwört Kubitschek seit Jahren eben nicht die Debat­te, son­dern die finale Krise, um endlich zur erlösenden Tat schre­it­en zu kön­nen

geknüpftes netz (knoten)

Ins Netz gegangen (13.6.)

Ins Netz gegan­gen am 13.6.:

  • “Die Ret­tung­sor­gan­i­sa­tion hat sich nach Eschede weit­er­en­twick­elt“ – Inter­view mit dem Unfallmedi­zin­er Ewald Hüls | Sozialthe­o­ris­ten → span­nen­des inter­view mit ewald hüls, der beim ice-unglück in eschede lei­t­en­der notartzt war, über möglichkeit­en, konzepte, strate­gien und lern­prozesse der ret­tungsmedi­zin

    Der Ret­tungs­di­enst hat genau das erst­mal ler­nen müssen – im Gegen­satz zu allen anderen beteiligten Organ­i­sa­tio­nen wie Bun­deswehr, Polizei, Gren­zschutz, Berufs­feuer­wehren – in solchen Lagen wirk­lich umzuschal­ten und bei einem Masse­nan­fall von Ver­let­zten anders zu agieren, als wir das aus dem täglichen Ret­tungs­di­enst, näm­lich der Indi­vid­u­alver­sorgung, ken­nen. Das war eine der stärk­sten Anstren­gun­gen in den let­zten Jahren, solche Konzepte dann auch tat­säch­lich zu verin­ner­lichen. Wenn ich eine Großschadenslage habe, kann ich nicht ein­fach irgend­wo rein stür­men, son­dern muss auf Befehl ganz bes­timmte Arbeit­en ver­richt­en, die abges­timmt sind.

  • Der The­ater­be­trieb ist ein Män­ner­laden | FR → die regis­seurin karin henkel im inter­view mit dirk pilz über the­ater, männliche (macht)strukturen, ungle­ich­heit und verän­derun­gen

    Es gibt ja viel weniger große Rollen für Frauen, aber ich möchte mit den tollen Schaus­pielerin­nen arbeit­en, die ich kenne. Das habe ich mir dur­chaus zur Auf­gabe gemacht: Wie kön­nen diese mehr vorkom­men? Und das ist dann natür­lich ein fem­i­nis­tis­ch­er Blick. Immer alles aus ein­er Män­ner­per­spek­tive zu erzählen – das lang­weilt mich.

  • Die Kli­mawan­dler | taz → bern­hard pöt­ter sieht in keinen grund für pos­i­tive nachricht­en:

    Denn in der Umwelt‑, Energie- und Nach­haltigkeit­spoli­tik legt das Kabi­nett Merkel IV ger­ade einen Fehlstart hin. Schon im Wahlkampf 2017 kamen diese The­men prak­tisch nicht vor. Im Koali­tionsver­trag von CDU/CSU und SPD wur­den sie an den Rand gedrängt. Und in der Real­ität der ersten drei Monate wurde es noch schlim­mer: Ziele wur­den gekappt, Fris­ten ver­säumt, Zusagen kassiert, Drin­gen­des wurde auf die lange Bank geschoben. […] Aber auf ein Sig­nal für mehr Nach­haltigkeit aus dem Kan­zler­amt, wo eigentlich die Nach­haltigkeit­spoli­tik koor­diniert wird, wartet sie bish­er verge­blich.

  • Zu Büch­ern find­et man nicht allein | FAZ → ein schönes und (lei­der) notwendi­ges plä­doy­er von tilman spreck­elsen für die erhal­tung von stadt­bib­lio­theken und ihre rolle im lese­leben, aber eben auch für die gesellschaft ins­ge­samt:

    Denn wenn es einen Ort gibt, an dem sich unsere Gesellschaft mit all ihren Werten und ihren Wider­sprüchen spiegelt samt der Frei­heit, sich aus dem Ange­bot ganz allein und unbeobachtet das Passende her­auszusuchen, ohne befürcht­en zu müssen, wie im Inter­net dabei auf Schritt und Tritt reg­istri­ert zu wer­den, dann ist er hier.

  • „Die Blu­men sind weg, die Schmetter­linge auch“ | taz → inter­view mit Claudius Prößer über insek­ten­ster­ben, land­wirtschaft und zwänge der gegen­wart — sehr lesenswert.
netzstruktur auf blauem hintergrund (vernetzungsgraph)

Ins Netz gegangen (16.5.)

Ins Netz gegan­gen am 16.5.:

  • Der neue Berlin­er Feiertag muss der Europatag am 9. Mai wer­den! | Der (europäis­che) Föder­al­ist → manuel müller schlägt vor, einen feiertag für eruopa/die europäis­che einigung/befriedung einzuführen

    In Erin­nerung an die Schu­man-Erk­lärung bege­ht die Europäis­che Union den 9. Mai bere­its seit vie­len Jahren als Europatag. Europaweit find­en heute Feste und Ver­anstal­tun­gen statt, um die europäis­che Idee, die Errun­gen­schaften der europäis­chen Inte­gra­tion und das bürg­er­schaftliche Engage­ment für län­derüber­greifend­en Aus­tausch und Ver­ständi­gung zu feiern.

    Nur eines ist der Europatag noch nicht: ein geset­zlich­er Feiertag. Das Land Berlin hat jet­zt die Chance, das zu ändern.

  • Im Korsett des Tur­bokap­i­tal­is­mus | SZ → im gegen­satz zu ger­hard mätzigs etwas herumeiern­den sowohl-als-auch-artikel fordert lau­ra weiss­müller einen guten punkt, bevor man über die ange­blich bessere leis­tung der nachge­baut­en pseu­do-alt­stadt in frank­furt disku­tiert:

    Und genau deswe­gen macht es keinen Sinn, das neue Frank­furter Alt­stadtquarti­er in Stel­lung gegen eine Architek­tur zu brin­gen, die ver­sucht, auf die Prob­leme unser­er Zeit zu reagieren. Wer die Qual­itäten bei­der Rich­tun­gen — hier die Baut­en der Alt­stadt­fre­unde, dort die der Avant­gardis­ten — ern­sthaft ver­gle­ichen möchte, müsste erst mit der­sel­ben Sorgfalt, Detail­freude und Unter­stützung der Baube­hörde ein ähn­lich dicht­es Stück Stadt, und zwar in gle­ich­er zen­traler Lage, in zeit­genös­sis­chem Gewand bauen lassen. Anson­sten ist es unlauter, eine Architek­tur für ihre Unbe­haus­theit ver­ant­wortlich zu machen, wenn man sie aus Kosten­grün­den genau in dieses Korsett zwingt.

  • Ein Reisender auf dem Ozean der Texte: Gérard Genette ist tot | NZZ → milo rau schreibt einen gut informierten nachruf auf den großen lit­er­atur­the­o­retik­er gérard genette, der let­zte woche ver­starb:

    Der­art zahlre­ich sind die Bezüge ausser­halb und inner­halb sein­er Diszi­plin, der­art vielfältig ist Genettes Ein­fluss auf die Geis­teswis­senschaften ins­ge­samt, dass es let­ztlich wohl diese total­isierende Unab­hängigkeit von Schulen und Denkrich­tun­gen ist, die sein Werk ausze­ich­net.

bücher (von oben & hinten)

Aus-Lese #51

Almut Tina Schmidt: Zeitver­schiebung. Graz, Wien: Droschl 2016. 189 Seit­en. ISBN 978–3‑85420–978‑2.

schmidt, zeitverschiebung (cover)Eigentlich ist Schmidts Zeitver­schiebung eine Geschichte des erweit­erten Erwach­sen­wer­dens: Das Ende des Studi­ums, die ersten Jobs, sich ver­fes­ti­gende Beziehun­gen, die Liebe und dann das Kind, ein neuer Job, Zusam­men­ziehen mit dem Part­ner und ein Hap­py End — das ist das Gerüst des Romans. Aber das ist auch der weniger inter­es­sante Teil des Romans. Schnell wird aber klar — der Titel ist in dieser Hin­sicht ja überdeut­lich … -, dass etwas anderes das eigentliche The­ma ist: Die Zeit, genauer vielle­icht: ihre Wahrnehmung, oder die wahrgenommene Posi­tion­ierung der Ich-Erzäh­lerin in ihrem strö­menden Fließen.

Zeit ist ohne­hin eine Illu­sion. (140)

Das Erleben und vor allem das Erzählen der Zeit verbindet sich mit ähn­lich abstrak­ten Konzepten wie For­tu­na oder Zufall.
Denn die Ver­spä­tung — um die Zeitver­schiebung etwas banaler zu ver­passen — ist das zen­trale Moment des Texte. Die chro­nol­o­gis­che Ver­spä­tung ist das eine, aber Ver­spä­tung ist eben auch ein Lebens­ge­fühl (oder genauer: das Lebens­ge­fühl ein­er Phase des Lebens): Das über­mächtige Gefühl des Ver­passens, des „zwis­chen“, „noch nicht“, und des immer schon zu spät sein, des Ein­drucks, immer schon den Anfang ver­passt zu haben … Aber selb­st das hap­py end schlägt sich doch auch noch auf das Zeit(empfinden) — hier des eige­nen, kleinen Kindes — nieder: „Und nimmt sich alle Zeit der Welt.“ (189) ist der Schlusssatz, der schön zum Anfangssatz passt: „Ich war ohne­hin zu spät, kon­nte mir also Zeit lassen.“ (5)

Das The­ma der Zeitver­schiebung ist damit auf indi­vidu­eller Ebene sozusagen erledigt. Aber es wird eben deut­lich (wie so oft in diesem Roman: überdeut­lich), dass es in der näch­sten Gen­er­a­tion (wieder/noch) ein The­ma sein kann. Allerd­ings, da schließt sich der Kreis nicht ganz: Noch ist das ein Kind, das “alle Zeit der Welt” hat. Vielle­icht gelingt ihm/ihr (?) ja das Erwach­sen­wer­den der Zeit(empfindung) gemäß den gesellschaftlichen Konventionen/Erwartungen par­al­lel zum restlichen Erwach­sen­wer­den? (Wobei Zeitver­schiebung ja eigentlich eher die Frage aufwirft, ob man ohne dieses spezielle, d.h. “nor­male” Empfind­en der Zeit, das Beha­gen darin, über­haupt erwach­sen gewor­den ist — der Text verneint das eher und situ­iert seine Pro­tag­o­nistin ja mehr als deut­lich in einem Zwis­chen, einem Über­gangssta­di­um (klas­sisch: Pubertät), unab­hängig von ihrem Alter.

Ger­ade der Anfang ist dur­chaus char­mant erzählt, das muss man Schmidt attestieren, mit läs­siger und heit­er­er Ironie-Dis­tanz. Über­haupt ist die Sprache oft lakonisch, knapp und direkt mit Ten­denz zum Humor. Es gibt wenig Auss­chmück­ung, das hohe Tem­po des Geschehens nimmt der Text gut auf: Die Zeit ist ein­fach nie genug, vor allem — so behauptet die Erzäh­lerin immer wieder — lebt sie im Bewusst­sein, sie zu ver­schwen­den und hat per­ma­nent das Gefühl, die Zeit nicht genü­gend auszukosten, nicht aus­re­ichend zu nutzen, immer nicht das Digentliche (des Lebens) zu tun, son­dern nur einen Not­be­helf, eine Zwis­chen­lö­sung. Lei­der wird die Erzäh­lung und die Sprache zunehmend kon­ven­tioneller — sozusagen par­al­lel zum Leben, dem Lebensen­twurf der Erzäh­lerin. Und damit ver­liert der Text lei­der meines Eracht­ens etwas: Sich­er, das ist in Übere­in­stim­mung mit der geschilderten Entwick­lung. Aber es machte den Text für mich gegen Ende auch deut­lich lang­weiliger.

Ich ver­schwen­dete mehr und mehr Zeit damit zu fürcht­en, meine Zeit ern­sthaft zu ver­schwen­den. (105)

Gwe­naëlle Aubry: Nie­mand. Graz, Wien: Droschl 2013. 150 Seit­en. ISBN 978–3‑85420–843‑3.

aubry, niemand (cover)Nie­mand ist das Alpha­bet ein­er selt­samen, schwieri­gen Vater-Tochter-Beziehung, die durch Abwe­sen­heit­en wesentlich mitbes­timmt ist und von der Tochter nach dem Tod ihres Vaters erforscht und aufgeschrieben wird. Der wird uns als Melan­cho­lik­er gezeigt, der auch daran stirbt (naja, eigentlich dann doch am Herz­in­farkt), dessen Leben bes­timmt ist vom Wahnsinn der Melan­cholie (?) und der sich immer wieder tem­porär in sta­tionär­er Behand­lung befind­et, zugle­ich aber (!) hoch ange­se­hen­er Jura-Pro­fes­sor. Nie­mand nutzt für diesen nachträglichen Abschied den emo­tionalen, psy­chis­chen und lit­er­arischen Nach­lass des Vater, aus dessen Schriften (teil­weise auch fik­tion­al gedacht) wird immer wieder zitiert. Denn zugle­ich ist der Roman auch ein Ver­such des Erin­nerns, mehr noch: der Verge­gen­wär­ti­gung des Vaters durch die Auseinan­der­set­zung, Aufar­beitung (Dur­char­beitung) des Ver­hält­niss­es der Ich-Erzäh­lerin mit ihm und ein Ver­such, ihn — als Men­schen, als Per­son — zu ver­ste­hen. Schwierig ist das insofern, als er schon während dem Leben ver­schwindet, (oder das zumin­d­est als — in seinen Nieder­schriften offen­bartes — Ziel hat­te): eben ein Nie­mand wer­den, ein Mann ohne Eigen­schaften.

Die Erzäh­lerin ver­liert sich wun­der­bar in ihren eige­nen Sätzen, häuft immer mehr Details und Erin­nerun­gen an, türmt das auf, fügt immer neue Ergänzun­gen, Präzisierun­gen, Erweiterun­gen an. Die Sätze fan­gen oft ganz harm­los an und ufern dann maß­los aus. Aber das ist ja aber ger­ade der schöne und sym­pa­this­che Witz des Textes: die ungetüme, wilde, chao­tisch-frag­men­tarische Erin­nerung wird nur durch das Alpha­bet der Kapi­tel gezähmt — zumin­d­est schein­bar. Und let­ztlich bleibt der Ver­such der Ord­nung, ein kohärentes Ganzes dadurch zu schaf­fen (von Anfang bis Schluss in ein­er fest­ge­fügten Abfolge) auch verge­blich, eben nur ein Ver­such, der im Text ein­mal als „Ord­nung ohne Bedeu­tung“ klas­si­fiziert wird (147). Aber sie ist wohl doch mehr: Denn die Buch­staben ste­hen ja nicht alleine, son­dern wer­den in den Kapitelüber­schriften zum Wort (mit Aus­nahme des “Y”, wo die Ord­nung dann eben auch reflek­tiert wird …).

„Nun gehen die Buch­staben aus, diese Ord­nung ohne Bedeu­tung, mit deren Hil­fe ich ver­sucht habe, seine Unord­nung und meine in den Griff zu bekom­men, unsere Erin­nerun­gen zu glät­ten und stam­mel­nd dieses sehr alte Wis­sen zu buch­sta­bieren, zu dem ich nicht durchge­drun­gen bin, als ob diese Wörter und Sätze, die unter dem Impuls und der Notwendigkeit ein­er ander­ern Ord­nung, der seini­gen – ein­er Auf­forderung oder eines Ver­sprechens (einen Roman daraus machen) –, hingeschrieben wur­den, sogle­ich wieder in ihre ursprünglichen Bestandteile auseinan­der­fall­en wür­den […] (147)

Michael Fehr: Glanz und Schat­ten. Erzäh­lun­gen. Luzern: Der gesunde Men­schen­ver­sand 2017. 141 Seit­en. ISBN 9783038530398.

fehr, glanz und schatten (cover)Sime­liberg hat­te mich ziem­lich begeis­tert. Glanz und Schat­ten kann da lei­der nicht ganz mithal­ten. Vor allem die starke Konzen­tra­tion und die fremde Härte, jew­eils in Form und Sprache, von Sime­liberg fehlt mir hier. Ganz oft weiß ich spon­tan (und später) über­haupt nicht, was die Texte wollen und/oder sollen, die Fremd­heit ist und bleibt oft ziem­lich groß: Irgend­wie finde ich nicht zu dem Text. Dessen “The­ma” kön­nte man oft nen­nen: die kalte, erbar­mungslose Welt des (Spät-)Kapitalismus und des Kon­sums, die Zurich­tungs­maschi­nen und ‑mech­a­nis­men der („freien“) Gesellschaft, wie sie sich vor allem in der Fremdbes­tim­mung (statt Indi­vid­u­al­ität) äußern — aber der Fremdbes­tim­mung ein­er gesicht­slosen, anony­men Macht. Das spie­len die Texte mit dem Vor­führen von Rol­len­bildern und ‑klis­chees, v.a. denen der Geschlechter, durch. Gewalt spielt dabei immer wieder eine außeror­dentlich Rolle: als Ven­til, als Aus­bruch aus den unen­tkomm­baren Zwän­gen, als Umschla­gen der Energien. Nico Bleutge hat in sein­er Rezen­sion des Ban­des vorgeschla­gen, die Texte als zum Vor­trag bes­timmte zu lesen — vielle­icht ist das wirk­lich hil­fre­ich, denn “alleine”, als blanker Text, finde ich nur in eini­gen weni­gen (zum Beispiel dem inten­siv­en “Stu­dentin” oder “Mais”) genü­gend Fasz­i­na­tion bei der Lek­türe.

Felix Hart­laub: Don Juan d’Aus­tria und die Schlacht bei Lep­an­to. Her­aus­gegeben von Wol­fram Pyta und Wolf­gang M. Schwiedrzik. Neckargemünd, Wien: Edi­tion Mnemosyne 2017 (Gegen­Satz 8). 292 Seit­en. ISBN 9783934012301.

felix hartlaub, don juan d'austria (cover)
Eine geschichtswis­senschaftliche Dis­ser­ta­tion aus dem Jahr 1940 über ein Ereig­nis aus dem Jahr 1571 — lohnt die Lek­türe eines solchen Textes heute noch? Dur­chaus, kann man sagen, wenn der Ver­fass­er For­mat hat­te. Und das muss man Felix Hart­laub bescheini­gen. Deshalb ist Don Juan d’Aus­tria und die Schlacht bei Lep­an­to tat­säch­lich auch noch inter­es­sant, als his­torische Darstel­lung eines his­torischen Ereigniss­es. Inter­es­sant ist auch die Form: Hart­laub arbeit­et erzäh­lend, er bringt (fast) keine Zitate und nutzt auch ver­gle­ich­sweise wenige Quellen (und sowieso zur gedruck­te): Als geschichtswis­senschaftliche Qual­i­fika­tion­ss­chrift hätte das heute wohl keine Chance mehr. Auch als “Sach­buch” bin ich mir nicht ganz sich­er, ob sich die Lek­türe heute wirk­lich noch so unbe­d­ingt lohnt, wie die Her­aus­ge­ber beto­nen … Sich­er, die Stil­isierung des sowieso schon zur Welt­geschichte hochstil­isierten Ereigniss­es ist gekon­nt umge­set­zt. Aber viel mehr sehe ich da jet­zt nicht unbe­d­ingt …

Die let­zte Sin­nge­bung des Tages von Lep­an­to gewann wir auch so noch nicht. An die Seite solch­er Über­legun­gen muß wohl die Ahnung treten, daß der Tag von Lep­an­to zu den sel­te­nen Ereignis­sen gehört, die, wenn man es so aus­drück­en darf, auf ein­er höheren Ebene der Geschichte liegen und bei denen die Frage nach den tat­säch­lichen Fol­gen im let­zten nicht angemessen ist. Nur materiell betra­chtet, gehörte der Sieg freilich wohl zu den — im Ver­hält­nis zu dem Erfolge — allzu ver­schwen­derischen Blu­topfern, an denen vor allem auch die deutsche Geschichte so reich ist. In dieser Hin­sicht ist manche aus den unmit­tel­bar fol­gen­den Jahren erhal­tene Äußerung auf­schlußre­ich. Das ide­al Bild der Schlacht aber, die noch über­all, in den Galeeren im Hafen, in den Waf­fen und Nar­ben gegen­wär­tig war, löste sich rasch aus dem Gefüge men­schlich­er Pla­nun­gen; es war ganz in sich abgeschlossen, man kon­nte kein­er­lei Abwand­lun­gen und Fort­set­zun­gen ersin­nen. (237)

außer­dem gele­sen:

  • Axel Matthes: Georges Bataille nach Allem. Berlin: blauw­erke 2016 (split­ter 07). 66 Seit­en. ISBN 978–3‑945002–07‑0.
  • Gün­ter de Bruyn: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter. Eine Biogra­phie. Über­ar­beit­ete und ver­mehrte Neu­fas­sung. Frank­furt: Fis­ch­er 2013. 350 Seit­en. ISBN 9783100096449.
  • Hans Jür­gen von der Wense: Das Nordlicht. Her­aus­gegeben von Vales­ka Bertonci­ni und Rein­er Niehoff. Mit einem Bei­wort von Vales­ka Bertonci­ni. Berlin: blauw­erke 2016 (split­ter 11). 58 Seit­en. ISBN 9783945002117.
  • Hans Jür­gen von der Wense: Das lose Werk. Mappe Nr. 01: Wolken. Berlin: blauew­erke 2016. ISBN 978–3‑945002–02‑5.
  • Ruth Klüger: Marie von Ebn­er-Eschen­bach. Anwältin der Unter­drück­ten. Wien: Man­del­baum 2016 (Autorin­nen feiern Autorin­nen). 56 Seit­en. ISBN 9783854765219.
  • Mar­lene Streeruwitz: Mar­lene Streeruwitz über Bertha von Sut­tner. Wien: Man­del­baum 2014 (Autorin­nen feiern Autorin­nen). 61 Seit­en. ISBN 9783854764564.

Ein Wort

A word is dead, when it is said
Some say –
I say it just begins to live
That day
Emi­ly Dick­in­son (1862)

spinnennetz in blühpflanzen

Ins Netz gegangen (2.5.)

Ins Netz gegan­gen am 2.5.:

  • Umso schlim­mer für die Tat­sachen | Süd­deutsche → wolf­gang kraushaar wirft einen instruk­tiv­en blick auf die “ergeb­nisse” des gedenk­jahres zum 50. jubiläum von “1968”

    Kaum jemand, der sich damals auf die Bewe­gung ein­ge­lassen hat­te, dürfte so wieder aus ihr her­aus­gekom­men sein, wie er zuvor in sie hineinge­gan­gen war. Das war ein kom­prim­iert­er, äußerst dynamis­ch­er Prozess, der die Einzel­nen nur zu häu­fig grundle­gend verän­dert hat.

    Diese Bewe­gung war aber in ihrem Kern auch etwas völ­lig Neuar­tiges. Ihre Akteure woll­ten ja nicht ein­fach wie noch die Arbeit­er- oder Gewerkschafts‑, die Friedens- oder Oster­marschbe­we­gung durch ihren Protest Inter­essen ver­fol­gen und bes­timmte Ziele erre­ichen. Nein, sie woll­ten sich dabei auch selb­st entwick­eln, verän­dern, manche sog­ar “befreien”. Es ging 1968 zugle­ich auch immer um die Bewegten selb­st, um ihre Bedürfnisse, ihre Wün­sche, ihre Träume — in einem emphatis­chen Sinne um Sub­jek­tiv­ität. Die Schalen der alten Per­son soll­ten abgeschüt­telt und darunter ein neues Ich ent­deckt und gebor­gen wer­den. Damit hat­te sie allen Irrun­gen und Wirrun­gen zum Trotz ein Bewe­gungs­for­mat geschaf­fen, das für andere Protestierende zum Fix­punkt wurde und an dem sich viele später ori­en­tiert haben.

  • Die Sche­in­frei­heit der Bibel | taz → heinz-wern­er kub­itz­ka erk­lärt, warum es falsch (und schein­heilig) ist, sich für mod­erne werte auf das chris­ten­tum zu berufen:

    Tol­er­anz und Frei­heit sind eben nicht organ­isch aus dem Chris­ten­tum erwach­sen, son­dern mussten ger­adezu in Geg­n­er­schaft zum Chris­ten­tum ver­wirk­licht wer­den. […] Befreiung find­et und fand nicht mit, son­dern meist gegen die Reli­gio­nen statt. Mod­erne Werte nimmt man nicht aus alten Schriften.

  • Ver­bale Auss­chuss­ware | Spiegel → sascha lobo verzweifelt an face­books com­mu­ni­ty-stan­dards — und zwar aus­drück­lich schon an ihrer sprach­lichen ver­fass­theit
  • Mein erster DSGVO Rant – Zu viele Mythen und gefährlich­es Halb­wis­sen zum neuen europäis­chen Daten­schutzrecht | Recht 2.0 → carsten ulbricht ärg­ert sich über panik und falsche infor­ma­tio­nen in bezug auf die dsg­vo

    Wer sich hier von der Panikmache nicht ansteck­en lässt, son­dern sich aus vernün­fti­gen Quellen oder bei Beratern informiert, die einen prak­tik­ablen Weg zur Umset­zung zeigen und nicht nur mit­teilen, wie unsich­er und riskant alles wird, der wird auch die Vor­gaben der DSGVO sin­nvoll umge­set­zt bekom­men.

  • Von der Lügen­presse zur Lügen­wis­senschaft? | Zeit­geschichte online → andreas wirsching macht sich gedanken über den platz und die rel­e­vanz der (zeit-)geschichte in der heuti­gen gesellschaft:

    Mit ihrem plu­ralen Blick auf die Ver­gan­gen­heit ver­mei­det die Prob­le­merzeu­gungs­geschichte zugle­ich die Frag­men­tierung ihres Gegen­standes ent­lang iden­titär­er Abgren­zun­gen. Sie lässt sich daher nicht vor den Kar­ren außer­wis­senschaftlich­er Iden­tität­skon­struk­tions­bedürfnisse span­nen, son­dern analysiert diese selb­st als Prob­lemhor­i­zont der Gegen­wart.
    So – und wie ich meine nur so – lässt sich die Zeit­geschichte als Vorgeschichte der Gegen­wart ver­ste­hen. Und als solche kann sie nicht nur, son­dern sollte unbe­d­ingt ihre Stimme in der Deu­tung aktueller Prob­lem­la­gen erheben. Gegenüber den Reduk­tion­is­ten aller Couleur wirkt sie störend, aber eben das erweist ihre öffentliche Rel­e­vanz.
    Und in nicht weni­gen Diskus­sio­nen liegt darin auch ihre beson­dere Kom­pe­tenz. His­torische Wis­senschaften sind näm­lich die einzi­gen Diszi­plinen, die gle­ich­sam mit zwei Augen sehen. Während das eine Auge in der Zeit- und Stan­dort­ge­bun­den­heit des Wis­senschaftlers haften bleibt, richtet sich das andere auf die his­torische Tiefe. Und erlauben Sie mir zum Schluss eine nicht ganz ern­stzunehmende Weit­er­führung des Bildes. Denn sind nicht die rein gegen­wart­sori­en­tierten Wis­senschaften gle­ich­sam die Einäugi­gen unter den Blind­en – den blind­en Zeitgenossen, die ihre Gegen­wart nicht zu ver­ste­hen ver­mö­gen? Und ist es demge­genüber nicht allein die Zeit­geschichte, die mit ihren bei­den Augen zusam­men räum­lich sehen kann. Wenn es sich so ver­hält, ist die Zeit­geschichte wed­er anti­quar­ische noch Lügen­wis­senschaft und um ihre Rel­e­vanz braucht uns nicht bange zu sein.

Taglied 30.4.2018

Johann Sebas­t­ian Bach, Toc­ca­ta & Fuge d‑moll BWV 565 — allerd­ings nicht auf der Orgel gespielt, son­dern sehr schön auf einem Ped­al­cem­ba­lo:

J.S. Bach, Toc­ca­ta in d minor / en ré mineur, BWV 565

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fischernetz

Ins Netz gegangen (19.4.)

Ins Netz gegan­gen am 19.4.:

  • Fata, Libel­li. Lit­er­aturkolumne | Merkur → ekke­hard knör­er wirft einen instruk­tiv­en blick auf den buch­markt und seine (haupt-) akteur*innen

    Ein Buch ist ide­al­typ­isch das, was eine Autorin ver­fasst, ein Agent in ihrem Namen verkauft, eine Lek­torin lek­to­ri­ert, ein Ver­lag set­zen lässt, pub­liziert und bewirbt, was ein Händler online oder im Laden verkauft, eine Rezensentin rezen­siert, eine Käuferin kauft. Ein Buch ist also ein ziem­lich kom­plex­es, aus geisti­gen, materiellen, ökonomis­chen Aspek­ten zusam­menge­set­ztes Objekt. […] Das Schreiben von Büch­ern ist eine in jed­er Hin­sicht aufwändi­ge und anstren­gende Sache. Die aller­meis­ten Autorin­nen und Autoren von Lit­er­atur kön­nen, wie sich aus den genan­nten Zahlen ohne viel Rech­nen ergibt, wed­er von den Verkäufen ihrer Büch­er noch von den Vorschüssen leben. Das gilt für die USA, das gilt für Deutsch­land, es gilt wohl über­all auf der Welt. Den­noch erscheinen Jahr für Jahr unfass­bar viele bel­letris­tis­che Titel. Wovon leben all diese Men­schen?

  • Geschlossen gegen imag­inierte Bedro­hun­gen | Süd­deutsche → ein ziem­lich guter essay von felix stephan über die ver­biesterten, eng­stirni­gen kämpfe um (deutungs-)hoheit (auch) in der kul­turszene, die er er im ver­har­ren in den eige­nen echokam­mern begrün­det sieht
  • Aber über Juden­hass nicht lachen wollen! | Über­mei­den → gabriel yoran regt sich ziem­lich zu recht über dumme fra­gen beim dlf auf:
    [Lev­it] soll allen Ern­stes erk­lären, wie sich sein Twit­tern jüdis­ch­er Witze mit Kri­tik an einem Preis für Verächtlich­machung von Auschwitz-Häftlin­gen verträgt. Was ist das für ein furcht­bares Land, in dem ein führen­des, ser­iös­es Medi­um solche Fra­gen stellt?
  • Moni­ka Grüt­ters im Inter­view | Tagesspiegel → ein total irres inter­view mit moni­ka grüt­ters, die sich ern­sthaft darüber beschw­ert, dass bei kul­tur­poli­tis­chen entschei­dun­gen (zu) viele mitre­den wollen. nun ja:

    Manch­mal würde auch der Kul­turbe­trieb eine Autorität gut ver­tra­gen.

  • Die große Inklu­sion | taz → vor­ab­druck eines auzuges aus armin nassehs neuem buch über 1968, “Gab es 1968?”, das — wenn ich den hier veröf­fentlicht­en text als maßstab nehme — sehr inter­es­sant zu sein scheint:

    Als wirk­sames Erbe [von 1968] haben sich Inklu­sion­ss­chübe vol­l­zo­gen, in deren Folge es zu ein­er Gen­er­alin­klu­sion der Bevölkerung kam. Dadurch ist es, so meine These, in allen wes­teu­ropäis­chen Län­dern zu einem mehr oder weniger merk­lichen impliziten Linksruck gekom­men – nicht expliz­it links gemäß der Vorstel­lung der radikalen Rev­o­lu­tion­sper­spek­tive des kleinen harten Kerns von „1968“, wonach die Gesellschaft ein umbaubares Objekt darstellt. Doch die Inklu­sions­dy­namik hat dur­chaus zu ein­er diskur­siv­en Beteili­gung größer­er Grup­pen geführt, und es kam zu ein­er grup­penüber­greifend­en Prämi­ierung von Abwe­ichung allein deshalb, weil die „Arbeit­steilung“ von Schicht­en und Milieus durcheinan­derg­eri­et.
    […] Die Poli­tisierung der Inklu­sion ist das, was ich hier als das impliz­it Linke beze­ich­nen möchte. Es ist links, weil es die egal­itären, auf soziale Ungle­ich­heit zie­len­den For­men von Mit­glied­schaft und Gen­er­alin­klu­sion von Bevölkerun­gen offen­siv ange­ht und sich mit jedem Schritt in Rich­tung Gen­er­alin­klu­sion die Unmöglichkeit ein­han­delt, solche For­men wieder zurück­zu­drehen. Und es ist impliz­it links, weil es für die Ver­fol­gung solch­er Poli­tik kein­er expliz­it linken Seman­tik und Pro­gram­matik bedarf.

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