Es gehört zur Vorweihnachtszeit wie der Adventskranz, der Glühwein und der Lebkuchen: Das Weihnachtsoratorium. Und mit „dem“ Weihnachtsoratorium ist natürlich immer der 1734 komponierte Kantatenzyklus von Johann Sebastian Bach gemeint. Jedes Jahr wieder begeistert es in seiner Großartigkeit. Diese Musik für sechs Sonntage – von Weihnachten bis Epiphanis – geballt an einem Abend zu hören, das ist immer wieder beeindruckend. Und das liegt nicht nur an der schieren Größe, sondern an der Vielfalt und Intensität der Bach’schen Musik, die auch heute noch, nach den unzähligen Aufführungen, die jeder schon gehört hat, neu und unverbraucht klingen kann.
Da kommt es freilich sehr auf die Musiker an – und das sind keine geringen Anforderungen: Chor und Solisten, Instrumentalisten und Dirigent sind hier gleichermaßen immer wieder gefordert.Das Konzert der Mainzer Musikhochschule in St. Ignaz mit dem Gutenberg-Kammerchor, dem Neumayer-Consort und Solisten aus dem „Barock vokal“-Programm, zeigte sehr schön, dass man dazu aber nicht unbedingt große Namen braucht.
Dirigenten des Weihnachtsoratorium stehen immer wieder vor der Entscheidung, ob sie eher auf Opulenz setzten oder als Musiker eine zurückgenomme Schlichtheit bevorzugen. Felix Koch, der die studentische Besetzung leitete, hat die seltene Möglichkeit, beides gleichzeitig zu tun. Sein Chor ist relativ klein besetzt und entsprechend wendig und schlank im Klang, das Orchester spielt sicher auf Originalinstrumenten. Zusammen können die ordentlich auftrumpfen, aber auch fast kammermuskalisch und intim klingen.
Dafür sind aber die Solisten sehr großzügig besetzt: Insgesamt neun junge, von Andreas Scholl im Kolleg „Barock vokal“ auf diese Aufführung vorbereitete Sänger und Sängerinnen teilen sich Rezitative und Arien. Mit Ausnahme des Evangelisten, den Jonas Boy zugleich jugendlich-frisch und sicher singt, wechseln sich die Vokalisten dabei im Lauf der Kantaten ab. Das macht das Oratorium einerseits abwechslungsreich, sorgt andererseits aber auch für eine gewisse Uneinheitlichkeit.
Aber abwechslungsreich war das Weihnachtsoratorium in St. Ignaz sowieso. Natürlich sind die von Felix Koch angeschlagenen Tempi zügig, aber nie übertrieben forsch. Er bringt die Ensembles zu einer federnden, impulsiven und treibenden Klanggestalt. Im Ganzen wirkt das aber vor allem angenehm unprätentiös: Koch bemüht sich um eine schlichte Wahrheit, die die Musik nicht als pompösen Monolithen zelebriert, sondern hörbar Offenheit und Klarheit anstrebt. Deswegen steht der gesungene Text auch sehr im Vordergrund, von „Lallen“ oder „matten Gesängen“, wie es im Anfangschor der dritten Kantate heißt, war hier nichts zu spüren. Besonders schön gelingen aber immer die Momente, in denen die Musik – vor allem im Chor – leicht und hell wird: Hier findet Koch mit seiner Truppe in innigen und überzeugenden Klängen am ehesten zu sich. Und in diesen Momenten lässt sich der Weihnachtsmarktrubel ganz einfach vergessen und der eigentlich Grund für das Fest rückt wieder ins Bewusstsein: Die Geburt des Erlösers.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)