Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2012 Seite 1 von 35

Netzfunde vom 21.12. bis zum 31.12.

Meine Net­z­funde für die Zeit vom 21.12. bis zum 30.12.:

Lieblingstweets Dezember 2012


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Weihnachtsgeschichte

Tilman Ramm­st­edt hat für die “Zeit” eine wun­der­schön melan­cholisch-wehmütige Wei­h­nachts­geschichte geschrieben, die den Ver­lust des Festes und der Familie(n) zum The­ma hat — und die immer wieder uner­füllt bleibende Sehn­sucht nach der total­en Har­monie und der vol­len­de­ten Beständigkeit:

Es sollte jet­zt los­ge­hen, es sollte sich jet­zt wieder­holen, es sollte jet­zt endlich wieder Fam­i­lie sein.

(weil ich über Wei­h­nacht­en strenge Nachricht­en- und Medi­endiät gehal­ten habe, komme ich erst jet­zt dazu, meinen Fee­dread­er durchzuar­beit­en. Bis Heilig Abend bin ich schon vorge­drun­gen …)

Fragend in die kalten Unendlichkeit: Schubert/Zender

Kalt ist es, bit­ter kalt. Frierend und ein­sam irrt der Sänger kurz vor Wei­h­nacht­en durch die Dör­fer, ver­lassen und ver­loren. Sel­ten hört man den Sänger der Schu­bertschen “Win­ter­reise” so weltver­loren wie Daniel Kirch im Staat­sthe­ater. Das ist aber kein Wun­der. Denn im Großen Haus erklingt ja gar nicht Schu­berts Win­ter­reise: Auf dem Pro­gramm ste­ht eine “kom­ponierte Inter­pre­ta­tion” dieser Win­ter­reise. So hat Hans Zen­der seine Bear­beitung genan­nt: Das Klavier wird durch ein genial instru­men­tiertes kleines Orch­ester erset­zt, von Stre­ich­ern über die Gitarre und das Akko­rdeon bis zum großen Schlag­w­erk ist es so reich beset­zt, dass es Far­ben ohne Ende bietet. Dabei bleibt die Musik doch trübe: Denn Zen­der macht in sein­er inter­pretieren­den Instru­men­ta­tion des Schu­bertschen Orig­i­nals die Aus­sicht­slosigkeit, die Ver­lassen­heit des Lied­sängers noch viel deut­lich­er. Der Tenor Daniel Kirch, am Anfang noch etwas unaus­geglichen, aber zunehmend überzeu­gen­der, navigierte sehr sich­er durch das win­ter­liche Ter­rain. Selb­st in den zer­ris­se­nen Par­tien des “stür­mis­chen Mor­gens” oder den ver­schobe­nen Tem­pi der drei “Neben­son­nen” blieb er beson­nen – fast zu behut­sam und sou­verän angesichts der exis­ten­ziellen Not.

Auch das Phil­har­monis­che Orch­ester kam mit der unge­wohn­ten Beset­zung und dem sel­te­nen Instru­men­tar­i­um von Melod­i­ca bis Wind­mas­chine gut zurecht, wan­derte dabei in Teilen auch noch vor und hin­ter die Bühne. Doch Gen­eral­musikdi­rek­tor Her­rmann Bäumer hat­te das alles fest im Griff. Der Schauer kehrte damit in die Schu­bertsche Musik zurück — der Schauer, den schon Schu­bert und seine Zeitgenossen bei diesen Liedern über­lief. Hier wurde er noch ein­mal lebendig, indem Zen­der die Lieder aus ihrer erstar­rten Kün­stlichkeit löst und die Struk­turen ganz behut­sam auf­bricht. Ganz stark wurde das am Ende des Zyk­lus, der in ein­er Auflö­sung der Welt mün­det — aber nicht in Wohlk­lang, son­dern ins Ungewisse.

Eine ähn­liche Öff­nung hat­te Bäumer zuvor schon mit Schu­berts siebter Sin­fonie, der Unvol­len­de­ten, unter­nom­men. Die bei­den Sätze reicht­en, um das Haus des Wohlk­langs zu ver­lassen — das ist hier allerd­ings auch eher ein Gefäng­nis. Dessen Stäbe zer­brachen schon ganz früh, bere­its die ersten Tak­te der in den tiefen Stre­ich­ern anset­zen­den Melodie drängten ins Freie, aus dem Gefäng­nis der Form und der Tra­di­tion weit hin­aus ins unbekan­nte Gebi­et. Bäumer machte diese Bewe­gung wun­der­bar deut­lich und entwick­elte daraus eine bestechende Schön­heit der Frei­heit und der Offen­heit. Das Phil­har­monis­che Orch­ester spielte das nicht nur hochkonzen­tri­ert, son­dern ger­adezu leicht­füßig, fast tanzend. In schweben­der Unentsch­ieden­heit bal­anciert Bäumer zum her­rlichen Klang. Eine Idylle, möchte man meinen — wären da nicht die Ein­brüche, die harten Schläge der Wirk­lichkeit, die immer wieder die himm­lis­chen Län­gen der Unvol­len­de­ten heim­suchen und deren ätherische Schön­heit zer­stören. Aber selb­st die erk­lan­gen hier mit einem Frageze­ichen: Trock­en und hart fuhren sie hinein — und zogen sich geschwind wieder zurück. Antworten bietet diese Musik nicht mehr, da sind nur noch Fra­gen. Aber was für Fra­gen! — Und doch: Selb­st diese Offen­heit verblasste dann etwas angesichts der schau­rig-erschüt­tern­den Kälte, mit der Bäumer und Kirch die Zen­der-Ver­sion der Win­ter­reise zu ihrem unbarmherzi­gen und ganz unwei­h­nachtlichen Ende bracht­en.

(etwas kürz­er für die Mainz­er Rhein-Zeitung geschrieben.)

Taglied 21.12.2012

Weil ja heute eigentlich die Welt enden soll(te): Peter Fox, Der let­zte Tag

Der Let­zte Tag — Peter Fox — Live aus Berlin

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

Undurchschaubarer Überblick

Der “inter­ak­tive Überblick” ist die neue Klick­hureBildga­lerie der Süd­deutschen Zeitung im Netz. Zum Beispiel hier — eine Liste von Buchempfehlun­gen, die “Büch­er des Jahres” (die inhaltlich übri­gens span­nend ist und sich­er viel Ent­deck­enswertes bietet). Aber benutzbar ist sie nicht. Es gibt keine (!) Tas­tatur­nav­i­ga­tion, nicht ein­mal scrollen kann mit den Tas­ten. Dafür ganz viel Gefum­mel mit der Maus, die auch noch ständig zwis­chen links und rechts hin- und her­wech­seln muss. Scroll­balken, die man nicht anklick­en kann, son­dern bei denen man den Mark­er immer direkt ver­schieben muss. Als woll­ten sie in München ver­hin­dern, dass der Leser ein­schläft …

So sieht für die SZ ein "interaktiver Überblick" aus

So sieht für die SZ ein “inter­ak­tiv­er Überblick” aus

Programmierer

Der Pro­gram­mier­er wird auch ver­merkt

Den Text kann man nicht markieren, nicht auswählen, also auch nicht kopieren. Deshalb muss man emp­foh­lene Autoren und Buchti­tel mit der Hand abschreiben — am besten mit dem Füllfeder­hal­ter auf handgeschöpftem Papi­er oder wie? Aber sie sind so stolz auf diesen “inter­ak­tiv­en Überblick”, dass sie sog­ar ver­merken, wer für die Pro­gram­mierung zuständig war. Ich halte das ja nicht für bemerkenswert, zumin­d­est nicht im pos­i­tiv­en Sinne. Denn für den Leser ist dieses For­mat ziem­lich ärg­er­lich, nervig und nicht ger­ade lese­fördernd. Man hat den Ein­druck, dass man länger mit dem Navigieren beschäftigt ist als mit dem Lesen. Zumal das Eigentliche, die emp­fohle­nen Büch­er, dann noch nicht ein­mal irgend­wie typographisch aus­geze­ich­net wer­den, damit man ja nicht so schnell sieht, worum es geht.
Irgend­wann fan­gen sie dann auch noch an, in den Empfehlun­gen die Cov­er zu zeigen. Aber nicht immer, son­dern nur manch­mal — David Van Rey­broucks “Kon­go” beispiel­sweise wird mehrmals emp­fohlen, erhält aber nur bei Chris Der­con ein Cover­bild.
Cover oder nicht Cover, das ist hier die Frage ...

Cov­er oder nicht Cov­er, das ist hier die Frage …

Und so geht das immer weit­er. Und nach­dem man sich da fleißig durchgek­lickt hat und viele Anre­gun­gen notiert hat, fragt man sich zum Schluss noch: Was war daran denn jet­zt “inter­ak­tiv”? Dass ich mehr klick­en muss um zu Lesen? Inter­agiert habe ich da doch mit nie­man­dem und nichts. Das Ein­fache kann eben manch­mal ganz schön schwierig sein …

Rezitieren von Gedichten

Im Cult­mag hat Carl Wil­helm Macke 10 sehr sin­nige Regeln bzw. Gebote über das richtige, angemessene und zuläs­sige Rez­i­tieren von lyrischen Tex­ten niedergeschrieben. Sie seien jedem Ver­anstal­ter, Rez­i­ta­tor und Lyrik­lieb­haber unbe­d­ingt ans Herz gelegt. Da heißt es unter anderem:

1. Während der Lesung eines Gedichts ist aus feuer­polizeilichen und ver­sicherungsrechtlichen Grün­den das Anzün­den von Kerzen streng­stens unter­sagt.
[…] 3. Ob ein Gedicht ste­hend, sitzend, liegend, knieend oder auf dem Kopf ste­hend, in gebück­ter oder ger­ad­er Hal­tung vor­ge­tra­gen wird, muss dem jew­eili­gen Rez­i­ta­tor über­lassen wer­den.
[…] 4. Ein nüt­zlich­es Gedicht ist ein schlecht­es Gedicht und sollte deshalb möglichst nicht vor­ge­tra­gen wer­den. Das Rez­i­tieren von Pro­pa­gandagedicht­en ist nach dem Fall der Berlin­er Mauer, den Twin-Tow­er-Anschlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 streng­stens unter­sagt.

Auch die anderen Gebote sind so scharf und tre­f­fend for­muliert. Man sollte sie eigentlich vor jed­er Rez­i­ta­tion als Pflicht­teil eben­falls vor­tra­gen …

Taglied 20.12.2012

Von York Höller gibt es wirk­lich einiges an guter und schön­er Musik, merke ich in let­zter Zeit immer wieder:

http://youtu.be/Y4t1CxtLSGM

Brigitte Kronauers Rede zu Ror Wolfs Geburtstag

Ein tadellos sprühender Glanz

Das ist ja mal eine schöne Über­raschung, die ich heute nach­mit­tag in meinem Briefkas­ten vor­fand: Der Frank­furter Schöf­fling-Ver­lag zählt mich zu den “Fre­un­den des Ver­lags” und hat mir zum Jahreswech­sel 2012/2013 eine aufwendig gestal­tete Broschüre geschickt:

Jahresgabe des Schöffling-Verlags

Jahres­gabe des Schöf­fling-Ver­lags

Der Text ist Brigitte Kro­nauers Rede zum 80. Geburt­stag von Ror Wolf — dessen Gesam­taus­gabe erscheint ja ger­ade Band für Band im Schöf­fling-Ver­lag (und die kann man sub­skrip­ieren, was zu unzäh­li­gen Stun­den großer Lek­türe­freude führt …). Auf feinem Papi­er gedruckt, nehmen die sog­ar fadenge­hefteten 16 Seit­en die Gestal­tung der RWW (Ror-Wolf-Werke) mit dem weißen Umschlang und der ger­adlin­i­gen Titelschrift in kräftigem Rot auf. So etwas kann man im ebook natür­lich nicht adäquat wiedergeben …
Brigitte Kronauers Rede zu Ror Wolfs Geburtstag

Brigitte Kro­nauers Rede zu Ror Wolfs Geburt­stag (fadenge­heftet)

Darin heißt es sehr tre­f­fend über Ror Wolf (auf Seite 6):

Unsere übliche Real­ität erscheint ihm, auch wenn in ihr, anders als in sein­er stum­men heimatlichen Umge­bung im thüringis­chen Saalfeld, noch so viel gere­det und geschwafelt wird, genau so öde wie dem Sech­sjähri­gen die seine, bevor er das Lesen lernte und dabei seine igene imag­inäre Gesellschaft ent­deck­te.

Auf jeden Fall ein sehr net­ter Gedanke, eine gelun­gene und so passende Über­raschung — dafür ganze her­zlichen, vie­len Dank nach Frank­furt an den Ver­lag!

Das verhaßte Haus

Das erste Trauer­spiel / das ihm Ver­druß erweckt /
Hegt das ver­haßte Haus / das man die Schule nen­net /
Wo Kun­st und Tugend ihm ein weites Ziel aussteckt /
Wol dem! der hier mit Lust und hur­tig dar­nach ren­net!
Denn der erre­icht es nicht / der ihm zur Zent­ner-Last
Der Weißheit Lehren macht / sie spie­lende nicht fasst.

— Daniel Cas­par von Lohen­stein, Sophon­is­be (Wid­mungsvorrede)

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