Google ist eine erzkapitalistische Hehlerbande von bombenwerfenden Taliban. Habe ich die Position der Verlage jetzt richtig zusammengefasst?
Tilman Rammstedt hat für die “Zeit” eine wunderschön melancholisch-wehmütige Weihnachtsgeschichte geschrieben, die den Verlust des Festes und der Familie(n) zum Thema hat — und die immer wieder unerfüllt bleibende Sehnsucht nach der totalen Harmonie und der vollendeten Beständigkeit:
Es sollte jetzt losgehen, es sollte sich jetzt wiederholen, es sollte jetzt endlich wieder Familie sein.
(weil ich über Weihnachten strenge Nachrichten- und Mediendiät gehalten habe, komme ich erst jetzt dazu, meinen Feedreader durchzuarbeiten. Bis Heilig Abend bin ich schon vorgedrungen …)
Kalt ist es, bitter kalt. Frierend und einsam irrt der Sänger kurz vor Weihnachten durch die Dörfer, verlassen und verloren. Selten hört man den Sänger der Schubertschen “Winterreise” so weltverloren wie Daniel Kirch im Staatstheater. Das ist aber kein Wunder. Denn im Großen Haus erklingt ja gar nicht Schuberts Winterreise: Auf dem Programm steht eine “komponierte Interpretation” dieser Winterreise. So hat Hans Zender seine Bearbeitung genannt: Das Klavier wird durch ein genial instrumentiertes kleines Orchester ersetzt, von Streichern über die Gitarre und das Akkordeon bis zum großen Schlagwerk ist es so reich besetzt, dass es Farben ohne Ende bietet. Dabei bleibt die Musik doch trübe: Denn Zender macht in seiner interpretierenden Instrumentation des Schubertschen Originals die Aussichtslosigkeit, die Verlassenheit des Liedsängers noch viel deutlicher. Der Tenor Daniel Kirch, am Anfang noch etwas unausgeglichen, aber zunehmend überzeugender, navigierte sehr sicher durch das winterliche Terrain. Selbst in den zerrissenen Partien des “stürmischen Morgens” oder den verschobenen Tempi der drei “Nebensonnen” blieb er besonnen – fast zu behutsam und souverän angesichts der existenziellen Not.
Auch das Philharmonische Orchester kam mit der ungewohnten Besetzung und dem seltenen Instrumentarium von Melodica bis Windmaschine gut zurecht, wanderte dabei in Teilen auch noch vor und hinter die Bühne. Doch Generalmusikdirektor Herrmann Bäumer hatte das alles fest im Griff. Der Schauer kehrte damit in die Schubertsche Musik zurück — der Schauer, den schon Schubert und seine Zeitgenossen bei diesen Liedern überlief. Hier wurde er noch einmal lebendig, indem Zender die Lieder aus ihrer erstarrten Künstlichkeit löst und die Strukturen ganz behutsam aufbricht. Ganz stark wurde das am Ende des Zyklus, der in einer Auflösung der Welt mündet — aber nicht in Wohlklang, sondern ins Ungewisse.
Eine ähnliche Öffnung hatte Bäumer zuvor schon mit Schuberts siebter Sinfonie, der Unvollendeten, unternommen. Die beiden Sätze reichten, um das Haus des Wohlklangs zu verlassen — das ist hier allerdings auch eher ein Gefängnis. Dessen Stäbe zerbrachen schon ganz früh, bereits die ersten Takte der in den tiefen Streichern ansetzenden Melodie drängten ins Freie, aus dem Gefängnis der Form und der Tradition weit hinaus ins unbekannte Gebiet. Bäumer machte diese Bewegung wunderbar deutlich und entwickelte daraus eine bestechende Schönheit der Freiheit und der Offenheit. Das Philharmonische Orchester spielte das nicht nur hochkonzentriert, sondern geradezu leichtfüßig, fast tanzend. In schwebender Unentschiedenheit balanciert Bäumer zum herrlichen Klang. Eine Idylle, möchte man meinen — wären da nicht die Einbrüche, die harten Schläge der Wirklichkeit, die immer wieder die himmlischen Längen der Unvollendeten heimsuchen und deren ätherische Schönheit zerstören. Aber selbst die erklangen hier mit einem Fragezeichen: Trocken und hart fuhren sie hinein — und zogen sich geschwind wieder zurück. Antworten bietet diese Musik nicht mehr, da sind nur noch Fragen. Aber was für Fragen! — Und doch: Selbst diese Offenheit verblasste dann etwas angesichts der schaurig-erschütternden Kälte, mit der Bäumer und Kirch die Zender-Version der Winterreise zu ihrem unbarmherzigen und ganz unweihnachtlichen Ende brachten.
(etwas kürzer für die Mainzer Rhein-Zeitung geschrieben.)
Weil ja heute eigentlich die Welt enden soll(te): Peter Fox, Der letzte Tag
Der Letzte Tag — Peter Fox — Live aus Berlin
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Der “interaktive Überblick” ist die neue KlickhureBildgalerie der Süddeutschen Zeitung im Netz. Zum Beispiel hier — eine Liste von Buchempfehlungen, die “Bücher des Jahres” (die inhaltlich übrigens spannend ist und sicher viel Entdeckenswertes bietet). Aber benutzbar ist sie nicht. Es gibt keine (!) Tastaturnavigation, nicht einmal scrollen kann mit den Tasten. Dafür ganz viel Gefummel mit der Maus, die auch noch ständig zwischen links und rechts hin- und herwechseln muss. Scrollbalken, die man nicht anklicken kann, sondern bei denen man den Marker immer direkt verschieben muss. Als wollten sie in München verhindern, dass der Leser einschläft …
So sieht für die SZ ein “interaktiver Überblick” aus
Der Programmierer wird auch vermerkt
Den Text kann man nicht markieren, nicht auswählen, also auch nicht kopieren. Deshalb muss man empfohlene Autoren und Buchtitel mit der Hand abschreiben — am besten mit dem Füllfederhalter auf handgeschöpftem Papier oder wie? Aber sie sind so stolz auf diesen “interaktiven Überblick”, dass sie sogar vermerken, wer für die Programmierung zuständig war. Ich halte das ja nicht für bemerkenswert, zumindest nicht im positiven Sinne. Denn für den Leser ist dieses Format ziemlich ärgerlich, nervig und nicht gerade lesefördernd. Man hat den Eindruck, dass man länger mit dem Navigieren beschäftigt ist als mit dem Lesen. Zumal das Eigentliche, die empfohlenen Bücher, dann noch nicht einmal irgendwie typographisch ausgezeichnet werden, damit man ja nicht so schnell sieht, worum es geht. Irgendwann fangen sie dann auch noch an, in den Empfehlungen die Cover zu zeigen. Aber nicht immer, sondern nur manchmal — David Van Reybroucks “Kongo” beispielsweise wird mehrmals empfohlen, erhält aber nur bei Chris Dercon ein Coverbild.
Cover oder nicht Cover, das ist hier die Frage …
Und so geht das immer weiter. Und nachdem man sich da fleißig durchgeklickt hat und viele Anregungen notiert hat, fragt man sich zum Schluss noch: Was war daran denn jetzt “interaktiv”? Dass ich mehr klicken muss um zu Lesen? Interagiert habe ich da doch mit niemandem und nichts. Das Einfache kann eben manchmal ganz schön schwierig sein …
Im Cultmag hat Carl Wilhelm Macke 10 sehr sinnige Regeln bzw. Gebote über das richtige, angemessene und zulässige Rezitieren von lyrischen Texten niedergeschrieben. Sie seien jedem Veranstalter, Rezitator und Lyrikliebhaber unbedingt ans Herz gelegt. Da heißt es unter anderem:
1. Während der Lesung eines Gedichts ist aus feuerpolizeilichen und versicherungsrechtlichen Gründen das Anzünden von Kerzen strengstens untersagt. […]
3. Ob ein Gedicht stehend, sitzend, liegend, knieend oder auf dem Kopf stehend, in gebückter oder gerader Haltung vorgetragen wird, muss dem jeweiligen Rezitator überlassen werden. […]
4. Ein nützliches Gedicht ist ein schlechtes Gedicht und sollte deshalb möglichst nicht vorgetragen werden. Das Rezitieren von Propagandagedichten ist nach dem Fall der Berliner Mauer, den Twin-Tower-Anschlägen vom 11. September 2001 strengstens untersagt.
Auch die anderen Gebote sind so scharf und treffend formuliert. Man sollte sie eigentlich vor jeder Rezitation als Pflichtteil ebenfalls vortragen …
Das ist ja mal eine schöne Überraschung, die ich heute nachmittag in meinem Briefkasten vorfand: Der Frankfurter Schöffling-Verlag zählt mich zu den “Freunden des Verlags” und hat mir zum Jahreswechsel 2012/2013 eine aufwendig gestaltete Broschüre geschickt:
Jahresgabe des Schöffling-Verlags
Der Text ist Brigitte Kronauers Rede zum 80. Geburtstag von Ror Wolf — dessen Gesamtausgabe erscheint ja gerade Band für Band im Schöffling-Verlag (und die kann man subskripieren, was zu unzähligen Stunden großer Lektürefreude führt …). Auf feinem Papier gedruckt, nehmen die sogar fadengehefteten 16 Seiten die Gestaltung der RWW (Ror-Wolf-Werke) mit dem weißen Umschlang und der geradlinigen Titelschrift in kräftigem Rot auf. So etwas kann man im ebook natürlich nicht adäquat wiedergeben …
Brigitte Kronauers Rede zu Ror Wolfs Geburtstag (fadengeheftet)
Darin heißt es sehr treffend über Ror Wolf (auf Seite 6):
Unsere übliche Realität erscheint ihm, auch wenn in ihr, anders als in seiner stummen heimatlichen Umgebung im thüringischen Saalfeld, noch so viel geredet und geschwafelt wird, genau so öde wie dem Sechsjährigen die seine, bevor er das Lesen lernte und dabei seine igene imaginäre Gesellschaft entdeckte.
Auf jeden Fall ein sehr netter Gedanke, eine gelungene und so passende Überraschung — dafür ganze herzlichen, vielen Dank nach Frankfurt an den Verlag!
Das erste Trauerspiel / das ihm Verdruß erweckt / Hegt das verhaßte Haus / das man die Schule nennet / Wo Kunst und Tugend ihm ein weites Ziel aussteckt / Wol dem! der hier mit Lust und hurtig darnach rennet! Denn der erreicht es nicht / der ihm zur Zentner-Last Der Weißheit Lehren macht / sie spielende nicht fasst.
— Daniel Caspar von Lohenstein, Sophonisbe (Widmungsvorrede)