„Wir haben unsere Körper, aber wir sind sie nicht.“—Thomas Meinecke, Musik, 311
Jahr: 2008 Seite 1 von 14
“it takes a long time for a world to vanish, much longer than you would think.„ &mdash (paul auster, in the country of last things, 28)
„Was ist das eigentlich für eine Instanz, frage ich mich, […] die den Fluß meiner Gedanken ordnen will? Sich manchmal sogar herausnimmt, zu bestimmen: Hier wird jetzt nicht weitergedacht. Und das dann auch durchzusetzen vermag.“—Thomas Meinecke, Musik, 367
Genies waren sie egentlich alle drei. Und doch hat nur Wolfgang Amadeus Mozart geschafft, was Louis Spohr und Luigi Cherubini verwehrt blieb: Dauerhaft im Bewusstsein der Musikliebhaber und auf den Konzertpodien präsent zu sein. Seine 29. Sinfonie stand im vierten Sinfoniekonzert des Theaters neben dem einzigen sinfonischen Werk Cherubinis, dass eher selten zu hören ist. Auch Spohr ist wenn überhaupt mit Kammermusik zu hören – ganz bestimmt nicht mit seinem Concertante für zwei Violinen und Orchester. Denn wann sind schon zwei Violinisten von Rang bereit, sich gegenseitig die Schau zu stehlen? Selbst Ingolf Turban und Kolja Lessing machen das nicht allzu oft. Leider. Denn sie können es wahrlich vortrefflich. Ihre perfekte, oft beinahe symbiotisch scheinende Ergänzung in musikalischer Hinsicht demonstrierten sie im Staatstheater schon vor dem ersten Ton – mit einer genau synchronisierten Verbeugung. Und so fuhren sie dann auch fort. Klanglich gelang ihnen der Spagat zwischen vollkommener Übereinstimmung und beharrender Individualität erstaunlich gut. Obwohl keiner der beiden seine eigenen Qualitäten verleugnete, ergänzten sich Turbans deutliches, präsentes Spiel und Lessigs emotionaler gefärbte Klangwelt vorzüglich. Die Vielfalt der Einfälle, die immer neuen Wendungen und nicht enden wollender Mitteilungsdrang Spohrs fanden in den beiden Solisten jedenfalls sehr energische, detailverliebte und sorgsame Fürsprecher.
Stark war auch das Engagement Catherine Rückwardts mit dem Philharmonischen Staatsorchester für Cherubinis D‑Dur-Sinfonie. Die birgt von sich aus einiges dramatisches Potenzial und viele Gelegenheiten zum effektvollen Auftrumpfen. In solcher Umgebung bewährte sich die ruhige Hand der Dirigentin ganz besonders. Denn Rückwardt ließ sich nicht von der wirkungsmächtigen Oberfläche verführen, sondern schaute tiefer. Und entdeckte da nicht nur zauberhafte klangliche Bilder, sondern auch ein gekonnt ausgearbeite musikalische Erzählung. Diese Musik wogt im Theater ganz plastisch hin und her, zwitschert und plätschert, stürmt voran, schreckt auch zurück, prallt sogar auf Widerstände und lässt sich dennoch treiben, – und das alles ist auch noch in klassische Formen verpackt: Ein typisch klassiches Geniewerk eben.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung)
„Wie schwierig es doch im nachhinein ist, jammere ich meiner Schwester vor, die innovativen Momente, in denen sich gesellschaftliche Errungenschaften sonisch, nämlich immer zuerst in der Musik ankündigen, auch ihre produktiven Widersprüche, weniger retrospektiv als in historisch zeitgenössischer Perspektive, nachzuvollziehen respektiven, in Anspielung auf mein endlich zu realisierendes Buchprojekt, narrativ zu rekonstruieren.“—Thomas Meinecke, Musik, 34
gestern habe ich beim training die 5000-km-marke überschritten (oder besser gesagt überlaufen). damit ist mein hauptjahresziel für 2008 erreicht. trotz der verletzung im mai, die mich einige wochen laufpause gekostet hat. mein zweites ziel, den sub 3:00-marathon, habe ich im oktober leider um 34 sekunden verfehlt. naja, damit muss ich mir wenigstens keine gedanken für das ziel im nächsten jahr machen – für frankfurt bin ich schon wieder angemeldet. ansonsten will ich eigentlich weniger auf zeit laufen, sondern eher kilometer sammeln. und das möglichst kontinuierlich – also ohne zwangspause. und natürlich soll auch mein tägliche-laufen-serie weiter anhalten – da habe ich ja noch einen rekord zu knacken. aber bis dahin muss ich noch einige kilometer unter die füße nehmen.
Der Zusammenprall zweier Kulturen gilt oft als ein Zeichen von Unheil. Das muss aber nicht unbedingt so sein. Gerade in der Musik haben sich immer wieder große Ereignisse aus dem Aufeinandertreffen vollkommen unterschiedlicher Stile und Musiker ereignet. Das adventliche Chorkonzert im Dom war genau so ein Fall. Im Zentrum stand zwar der St. Petersburger Knabenchor. Aber die Mainzer ließen es sich nicht nehmen, den Mädchenchor wenigstens ein bisschen singen zu lassen. Und das war eine großartige Idee. Denn einen großen Teil seiner Wirkung und Eindrücklichkeit zog diese Adventsmusik aus dieser Konfrontation. Hier traten zwei völlig verschiedene Chortraditionen ins Blickfeld, zwei ganz gegensätzliche Klangkulturen.
Den Anfang machte der Mainzer Mädchenchor. Nicht viel war es, was sie sangen. Aber es reichte Karsten Storck, um das Niveau und die Qualität seines Ensembles wieder einmal plastisch bewusst zu machen. Egal, ob verträumt und sanft schwingend wie der Satz des Weihnachtsliedes „Maria durch ein Dornwald ging“ oder federnd zupackend wie bei der ausgewählten Magnificat-Vertonung: Immer bewiesen sie volle Präsenz, vorbildliche Klarheit und Einheit des Klangkörpers, der alle Strukturen klar erkennen ließ.
Und dann der Wechsel zu den russischen Jungen. Das war nicht nur ein anderes Geschlecht, das war eine ganz andere Idee des Chorklangs. Denn Transparenz und kompositorische Strukturen waren jetzt überhaupt nicht mehr wichtig. Jetzt ging es vor allem darum, den Raum mit Klang auszufüllen – ein Vorhaben, das im Mainzer Dom zu sehr anregenden Ergebnissen führte.
Alles war immer im Fluss, jeder Übergang wurde von Wladimir Ptscholkin so sorgsam abgefedert, dass er nahezu unerkennbar wurde. Es war eine scheinbar nie versiegende Fülle weicher Klangbilder, die sie aus den Werken vorwiegend russischer Komponisten herausholten. Und es war immer wieder verblüffend, wie nahtlos sie sich in den Raum schmiegten, wie die gar nicht so vielen Kinder und Jugendliche die Energien fließen ließen. Einen Sieger gab es in diesem Konzert natürlich nicht, nur zwei völlig unterschiedliche klangliche Ergebnisse. Aber schön waren beide.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung)
und findet sie auf einem weihnachtsmarkt in der ronneburg. dumm nur, das davon gar nichts stimmt: weder mittelalterlich, noch fernab von kommerz, noch abseits des trubels. dafür muss man noch nicht einmal da gewesen sein, da genügt schon das angeblich redaktionelle werbefilmchen: klick.
Die ersten Töne kennt wahrscheinlich jeder im ausverkauften Großen Haus des Staatstheaters. Tschaikowskijs erstes Klavierkonzert ist ein ewiger Hit, der immer für volle Säle sorgt. Vor allem, wenn er von einer Pianistin wie Evgenia Rubinova – auch in Mainz keine unbekannte Größe mehr – vorgetragen wird. Die ersten Töne also. Sie sind nicht nur ein Zeichen des Werkes, sondern sie zeigen auch immer schon sehr deutlich die Richtung, die die Interpreten nehmen. Im Staatstheater werden mehrere Dinge erkennbar. Einmal wird hier mit großer Genauigkeit und wirklicher Lust am differenzierten Klang musiziert. Andererseits der Klang an sich: Schon die ersten Töne der Pianisten zeigen ihre geschmeidige Kraft, ihre Fähigkeit, aus dem simplen Flügel eine Unzahl an Klangvariationen aufsteigen zu lassen. Und schließlich die Versenkung in die Tiefen der imaginären Welt des Klavierkonzertes. Das sind alles altmodische, fast selbstverständliche Tugenden, die gerade bei diesem Konzert viele Musiker aber auf dem Altar der oberflächlichen Brillanz opfern. Nicht so dieses Duo an den Tasten und auf dem Pult. Und das nicht aus Verlegenheit. Gerade die beiläufige Nonchalance, mit der Rubinova sich der virtuosen Passagen entledigt, zeigt ihre Fähigkeiten. Aber ihr geht es eben um etwas anderes: Um die subtilen Klangfelder und ihre vielfältigen Strömungen, die aus dem radikal nach innen gewandten Kampf zwischen Orchester und Soloinstrument erwachsen. Die Genauigkeit, mit der sie sich dem poetischen Feinzeichnen hingibt, bringt immer wieder erstaunliche Ergebnisse und richtige Entdeckungen hervor. So unmittelbar lebendig und andächtig-imitfühlend hört man das Sehnen, die nie an ihre Ziel kommende Suche nach Verheißung und Erlösung aus der Ungewissheit nur selten.
Die zweite Konzerthälfte kehrte die Verhältnisse vollkommen um. Zumindest was die Bekanntheit der Musik angeht: Sergej Rachmaninows „Sinfonische Tänze“, seine letzte Komposition, dürften nur die wenigsten kennen – zumal das Philharmonische Staatsorchester sie hier zum ersten Mal spielt. Das ändert aber wenig an der Hingabe, mit der Catherine Rückwardt den Fluss dieser Musik ausbreitet. Und es ist nicht ganz einfach, das zusammenzuhalten. Aber es gelingt ihr trotz der kleinteilig aufgelösten Struktur und der sehr abwechslungsreichen Instrumentation. Denn statt den momentanen Nervenkitzel und Ohrenschmeicheleien zu erliegen, hält sie das kunstvolle Gleichgewicht immer aufrecht. Und damit kommt Rachmaninow genauso zu seinem Recht wie Tschaikowskij.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung)