Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: nora gomringer

Aus-Lese #48

Thomas Brus­sig: Wasser­far­ben. Berlin: Auf­bau Dig­i­tal 2016. 183 Seit­en. ISBN 978–3‑8412–1084‑5.

brussig, wasserfarben (cover)Wasser­far­ben ist der erste Roman von Brus­sig, 1991 unter einem Pseu­do­nym erschienen und jet­zt als E‑Book veröf­fentlicht, deshalb ist er sozusagen bei mir gelandet. Es wird erzählt von einem Abi­turi­ent in Ost-Berlin am Über­gangspunkt zwis­chen noch Schule und bald Leben. Es soll also ganz offen­sichtlich ein com­ing-of-age-Roman sein. Das ist es aber nicht so recht — weil der “Held” sich wenig bis gar nicht entwick­elt und erst am Ende von seinem älteren Brud­er erk­lärt bekommt, wie man erwach­sen wird … Der Text ist vielle­icht typ­isch Brus­sig: gewollt rotzig und trotzig. Und dieses bemühte Wollen merkt man dem Text lei­der immer wieder an — nicht an allen Stellen, aber doch häu­fig. Genau wie er bemüht “frech” sein will ist er auch etwas bemüht witzig. Vor allem aber fehlt mir die eigentliche Moti­va­tion des Erzäh­lers, warum er so ist, wie er ist. Das wird ein­fach nicht klar.

Wasser­far­ben ist dabei sowieso von einem eher lah­men Witz und hink­en­dem Esprit gekennze­ich­net. Das passt insofern, als auch die beschriebene DDR-Jugend in den 80ern so halb auf­säs­sig ist: nicht ganz angepasst, aber auch kein Hang zur Totalver­weigerung oder wenig­stens “ordentlich­er” Oppo­si­tion. Das, der Held und seine Fre­unde und Bekan­nte, denen er im Lauf der Erzäh­lung begeg­net, zeigen dafür sehr schön den Druck, den das Sys­tem auf­bauen und ausüben kon­nte, vor allem in der Schule, aber auch im Pri­vatleben, wo Arnold, der Pro­tag­o­nist und Erzäh­ler (der den Leser schön brav siezt und auch son­st so seine extrem angepassten Momente hat), dur­chaus aneckt — vor allem wohl aus einem unspez­i­fis­chen Frei­heits­drang, weniger aus grund­sät­zlich­er Oppo­si­tion. Das Buch hat dur­chaus einige nette Momente, die auch mal zum Schmun­zeln anre­gen kön­nen, erschien mir auf die Dauer aber etwas fad — so wie die Jugend und die DDR selb­st vielle­icht. Nicht umson­st beschreiben die sich als “wasser­far­ben” im Sinne von: diese Jugend hat die Farbe von Wass­er, ist also ziem­lich blass, durch­scheinend, aber auch vielfältig.

Alke Stach­ler: Dün­ner Ort. Mit fotografis­chen Illus­tra­tio­nen von Sarah Oswald. Salzburg: edi­tion mosaik 2016 (edi­tion mosaik 1.2). 64 Seit­en. ISBN 9783200044548.

Meinen Ein­druck dieses feinen Büch­leins, dass es mir nach anfänglich­er Dis­tanz doch ziem­lich ange­tan hat, habe ich an einem anderen Ort aufgeschrieben: klick.

John Corbett/span>: A Listener’s Guide to Free Impro­vi­sa­tion. Chica­go, Lon­don: The Uni­ver­si­ty of Chica­go Press 2016. 172 Seit­en. ISBN 978–0‑226–35380‑7.

Diese gelun­gene Ein­führung in die frei impro­visierte Musik für inter­essierte Hör­er und Hörerin­nen habe ich auch schon in einem Extra-Beitrag gelobt: klick.

Nora Gom­ringer: ach du je. Luzern: Der gesunde Men­schen­ver­sand 2015 (edi­tion spo­ken script/Sprechtexte 16).153 Seit­en. ISBN 9783038530138.

gomringer, ach du je (cover)Dieser Band ver­sam­melt Sprech­texte Gom­ringers. Die zie­len auf die Stimme und ihre kör­per­liche Mate­ri­al­ität, sie set­zen sie voraus, sie machen sie zu einem Teil des Textes selb­st — oder, wie es im Nach­wort heißt: “Die Nieder­schrift ist für sie ein Behelf, um das lyrische schlechthin zur Erfül­lung zu brin­gen.” (144). Das ist gewis­ser­maßen Vorteil und Prob­lem zugle­ich. Dass man den Tex­ten ihre Stimme sozusagen immer anmerkt, ist kon­se­quent. Und sie passen damit natür­lich sehr gut in die “edi­tion spo­ken script”. Ich — und das ist eben eine rein sub­jek­tive Posi­tion — mag das allerd­ings oft nicht so gerne, zu sprechende/gesprochene Texte lesen — da fehlt ein­fach wesentliche Dimen­sion beim “bloßen” Lesen. Und was übrig bleibt, funk­tion­iert nicht immer, nicht unbe­d­ingt so richtig gut. Das soll aber auch gar keine Rüge sein und keinen Man­gel anzeigen: Sprech­texte, die als solche konzip­iert und geschrieben wur­den, sind eben mit bzw. in der Stimme gedacht. Ist ja logisch. Wenn die nun im gedruck­ten Text wegfällt, fehlt eine Dimen­sion des Textes, die sich imag­i­na­tiv für mich nicht immer rei­bungs-/naht­los erset­zen lässt. Ich denke dur­chaus, dass min­deste ein Teil der Texte gut sind. Gefall­en hat mir zum Beispiel das wieder­holte Aus­pro­bieren und Bedenken, was Sprache ver­mag und in welch­er Form: was sich also (wie) sagen lässt. Anderes dage­gen schien mir doch recht banal. Und manch­mal auch etwas laut und etwas „in your face“, eine Spur zu auf­dringlich und über-direkt. Ins­ge­samt hin­ter­lässt der Band damit bei mir einen sehr diver­gen­ten, unein­heitlichen Ein­druck.

Mod­ern

Einen Baum pflanzen
Auf ihm ein Haus bauen
Da rein ein Kind set­zen
Das Kind zweis­prachig
Anschreien (116)

Urs Leimgruber/Jacques Demierre/Barre Phillips: Lis­ten­ing. Car­net de Route — LDP 2015. Nantes: Lenka Lente 2016. 269 Seit­en. ISBN 9791094601051.

Lis­ten­ing ist das Tourtage­buch des Impro­vi­sa­tion­strios LDP, also des Sax­o­phon­is­ten Urs Leim­gru­ber, des Pianis­ten Jacques Demierre und des Bassis­ten Barre Phillips. Ursprünglich haben die drei das als Blog geschrieben und auch veröf­fentlicht. Drei Musik­er also, die in drei Sprachen schreiben — was dazu führt, dass ich es nicht ganz gele­sen habe, mein Franzö­sisch ist doch etwas arg eingerostet. Das geht mal ein paar Sätze, so manch­es habe ich dann aber doch über­sprun­gen. Und die ganz unter­schiedliche Sichtweisen und Stile beim Erzählen des Tourens haben. Da geht es natür­lich auch um den Tourall­t­ag, das Reisen spielt eine große Rolle. Wichtiger aber noch sind die Ver­anstal­ter, die Organ­i­sa­tion und vor allem die Orte und Räume, in den sich die Musik des Trios entwick­eln kann. Und immer wieder wird die Mühe des Ganzen deut­lich: Stun­den- bis tage­lang fahren, unter­wegs sein für ein bis zwei Stun­den Musik. Und doch ist es das wert, sowohl den Pro­duzen­ten als auch den Rezip­i­en­ten der freien Musik.

The per­form­ing musician’s hand­i­cap is that each con­cert is the last one ever. It’s nev­er going to get any bet­ter than it is today. The con­cert is ‚do or die‘ time. This moment is your truth and the groups truth. (65)

Die Räume, Pub­li­ka und auch die bespiel­ten Instru­mente wer­den immer wieder beschrieben und bew­erten. Demierre führt zum Beispiel genau Buch, welche Klaviere und Flügel er bespielt, bis hin zur Seri­en­num­mer der Instru­mente. Und da ist vom Stein­way-Konz­ert­flügel der D‑Reihe bis zum abgewrack­ten “upright” alles dabei … Leim­gru­ber inter­essiert sich mehr für die Städte und Organ­i­sa­tion­szusam­men­hänge, in denen die Konz­erte stat­tfind­en. Und natür­lich immer wieder die Musik: Wie sie entste­ht und was dabei her­auskommt, wenn man in ver­trauter Beset­zung Tag für Tag woan­ders neu und immer wieder frei impro­visiert. Und wie die Reak­tio­nen sind. Da find­en sich, im Text des Tourtage­buch verteilt, immer wieder inter­es­sante Reflex­io­nen des Impro­visierens und Selb­st­po­si­tion­ierun­gen, die ja bei solch­er, in gewiss­er Weise mar­ginaler, Musik immer auch Selb­stvergewis­serun­gen sind. Nur geübt wird eigentlich über­haupt nicht (außer Barre Phillips, der sich nach monate­langer Absti­nenz aus Krankheits­grün­den wieder neu mit seinem Bass ver­traut machen muss). Und im Trio gibt’s immer­hin kurze Sound­checks, die aber wohl vor allem der Erprobung und Anpas­sung an die jew­eilige Rau­makustik dienen. Und nicht zulet­zt bietet der Band noch viele schöne Fotos von Jacques Demierre.

Konzen­tri­ertes Hören, Ver­ant­wor­tung, materielle Voraus­set­zun­gen und spon­tane Eingaben bilden die Basis der Musik. Wir agieren, inten­sivieren, dekon­stru­ieren, eli­m­inieren, addieren und mul­ti­plizieren… Wir prak­tizieren Musik in Echtzeit, sie entste­ht, indem sie entste­ht. Gesten und Spiel­weisen ver­mis­chen sich und lösen sich ab. Wir hal­ten nichts fest. Das Aus­ge­lassene zählt genau­so wie das Einge­fügte. Jedes Konz­ert ist auf seine Art ein Orig­i­nal. Jede Sit­u­a­tion ist anders. Der akustis­che Raum, das Pub­likum, die gesamte Stim­mung im Hier und Jet­zt. (134f.)

Hubert Fichte: Ich beiße Dich zum Abschied ganz zart. Briefe an Leonore Mau. Hrsg. von Peter Braun. Frank­furt am Main: S. Fis­ch­er 2016. 256 Seit­en. ISBN 978–3‑10–002515‑9.

fichte, briefe (umschlag)Zusam­men­gerech­net sind es knapp 60 Seit­en Briefe, für die man 26 Euro bezahlt. Und viele der Briefe Hubert Ficht­es an seine Lebens­ge­fährtin Leonore Mau sind (sehr) knappe, kurze Mit­teilun­gen, die oft in erster Lin­ie die Banal­itäten des (Zusammen-)Lebens zum Inhalt haben.

Ich will: kein­er­lei famil­iäre Bindun­gen. Ich will frei leben — als Sohn Pans — wenn Du willst und ich will schreiben. (28)

Die Briefe zeich­nen nicht unbe­d­ingt ein neues Fichte-Bild — aber als Fan muss man das natür­lich lesen. Auch wenn ich mit schlechtem Gewis­sen lese, weil es dem Autor­willen aus­drück­lich wider­spricht, denn der wollte diese Doku­mente ver­nichtet haben (was Leonore Mau in Bezug auf seinen son­sti­gen schriftlichen Nach­lass auch weit­ge­hend befol­gte, bei den Briefen (zumin­d­est diesen) aber unter­ließ, so dass sie nach ihrem Tod jet­zt sozusagen gegen bei­der willen doch öffentlich wer­den kön­nen und das Pri­vate der bei­den Kün­stler­per­so­n­en also der Öffentlichkeit ein­ver­leibt wer­den kann …) Vor allem bin ich mir nicht sich­er, ob sich — wie Her­aus­ge­ber Peter Braun im Nach­wort bre­it aus­führt — daraus wirk­lich ein “Relief” im Zusam­men­spiel mit den Werken bildet. Und wie immer bin ich mir ziem­lich unsich­er, ob das den Werken (es geht ja vor allem um die unfer­tige “Geschichte der Empfind­lichkeit”) wirk­lich gut tut (bzw. der Lek­türe), wenn man sie mit den Briefen — und damit mit ihrem Autor — so eng ver­schränkt. Und ob es in irgend ein­er Weise notwendig ist, scheint mir auch zweifel­haft. Ja, man erken­nt die auto­bi­ographis­che Grundierung manch­er Jäc­ki-Züge und auch der Irma-Fig­ur nach der Lek­türe der Briefe noch ein­mal. Aber ver­leit­et das Briefe-Lesen dann nicht doch dazu, aus Jäc­ki Hubert und aus Irm Leonore zu machen und damit wieder am Text der Werke vor­bei zu lesen? Ander­er­seits: ein wirk­lich neues Bild, eine unent­deck­te Lesart der Glossen oder der Alten Welt scheint sich dann selb­st für Braun doch nicht zu ergeben.

Ich will Frei­heit, Frei­heit — und dazu bedarfs Witzes und Lachens. (42)

Selb­st Willi Win­kler, dur­chaus enthu­si­astis­ch­er Fichtean­er, befind­et in der Süd­deutschen Zeitung: “Diese Briefe, ein­mal muss es doch her­aus, sind näm­lich von sen­sa­tioneller Belan­glosigkeit” und schießt dann noch recht böse gegen die tat­säch­lich manch­mal auf­fal­l­en­den Banal­itäten des Kom­men­tars (mein Lieblingskom­men­tar: „Dar­mgeräusche: Dar­mgeräusche sind ein Aus­druck der Peri­staltik von Magen und Darm und insofern Anze­ichen für deren nor­male oder gestörte Tätigkeit.“ (167)) und das etwas hochtra­bende Nach­wort von Her­aus­ge­ber Braun. Über­haupt macht das Drumherum, das ja eine ganze Menge Raum ein­nimmt, eher wenig Spaß. Das liegt auch an der eher unschö­nen, lieblose Gestal­tung. Und den — wie man es bei Fichte und Fis­ch­er ja lei­der gewöh­nt ist — vagen, unge­nauen Edi­tion­srichtlin­ien. Der Titel müsste eigentlich auch anders heißen, das Zitat geht näm­lich noch ein Wort weit­er und heißt dann: “Ich beiße dich zum Abschied ganz zart / wohin.” So ste­ht es zumin­d­est im entsprechen­den Brief, war dem Ver­lag aber wohl zu heikel. Und das ist dann doch schade …

Aber für uns ist ja nur das Unvor­sichtige das richtige. (141)

außer­dem gele­sen:

  • T. E. Lawrence: Wüsten-Gueril­la. Über­set­zt von Flo­ri­an Trem­ba. Her­aus­gegeben von Rein­er Niehoff. Berlin: blauw­erke 2015 (= split­ter 05/06). 98 Seit­en. ISBN 9783945002056.
  • Björn Kuh­ligk: Ich habe den Tag zer­schnit­ten. Riga: hochroth 2013. 26 Seit­en. ISBN 97839934838309.
  • Chris­t­ian Meier­hofer: Georg Philipp Hars­dörf­fer. Han­nover: Wehrhahn 2014 (Mete­o­re 15). 134 Seit­en. ISBN 978–3‑86525–418‑4.
  • Edit #66
  • Mütze #12 & #13 (mit inter­es­san­ten Gedicht­en von Kurt Aebli und Rain­er René Mueller)

Ins Netz gegangen (20.7.)

Ins Netz gegan­gen am 20.7.:

  • «Dig­i­tal Human­i­ties» und die Geis­teswis­senschaften: Geist unter Strom — NZZ Feuil­leton — sehr selt­samer text von urs hafn­er, der vor allem wohl seine eigene skep­sis gegenüber “dig­i­tal human­i­ties” bestäti­gen wollte. dabei unter­laufe ihm einige fehler und er schlägt ziem­lich wilde volten: wer “human­i­ties” mit “human­wis­senschaften” über­set­zt, scheint sich z.b. kaum auszuken­nen. und was die verz­er­rende darstel­lung von open access mit den dig­i­tal human­i­ties zu tun hat, ist auch nicht so ganz klar. ganz abge­se­hen davon, dass er die fäch­er zumin­d­est zum teil fehlrepräsen­tiert: es geht eben nicht immer nur um close read­ing und inter­pre­ta­tion von einzel­tex­ten (abge­se­hen davon, dass e‑mailen mit den dig­i­tal human­i­ties unge­fähr so viel zu tun hat wie das nutzen von schreib­maschi­nen mit kittler’schen medi­en­the­o­rien …)
  • Lyrik: Reißt die Seit­en aus den Büch­ern! | ZEIT ONLINE — nette idee von thomas böhm, die lyrik zu vere­inzeln (statt in lyrik­bän­den zu sam­meln), das gedicht als optis­ches sprachkunst­werk zu ver­mark­ten (auch wenn ich seine argu­men­ta­tio­nen oft über­haupt nicht überzeu­gend finde)
  • Ein­sam auf der Säule « Lyrikzeitung & Poet­ry News — gute kri­tikkri­tik zur besprechung des aktuellen “Jahrbuchs für Lyrik” in der “zeit”, die auch mich ziem­lich ver­wun­dert hat.

    Unter­schei­dung, Alter­na­tiv­en, Schw­er­punk­t­set­zung? Fehlanzeige. Rez. zieht es vor, sich als scharfe Kri­tik­erin zu insze­nieren, jede Dif­feren­zierung schwächte das Bild nur. Lieber auf der Schul­ter von Riesen, hier neben Krüger, Benn & Co. vor allem Jos­sif Brod­sky, auf die behauptet magere deutsche Szene her­ab­blick­en. Ein­sam ist es dort oben auf der Säule!

  • Verkehrssicher­heit: Brun­ners let­zte Fahrt | ZEIT ONLINE — sehr inten­sive reportage von hen­ning susse­bach über die prob­leme der/mit altern­den aut­o­fahrern (für meinen geschmack manch­mal etwas trä­nen­drüsig, aber ins­ge­samt trotz­dem sehr gut geschrieben)

    Urlaub­szeit in Deutsch­land, Mil­lio­nen Reisende sind auf den Straßen. Da biegt ein 79-Jähriger in falsch­er Rich­tung auf die Auto­bahn ein – fünf Men­schen ster­ben. Ein Unglück, das zu ein­er brisan­ten Frage führt: Kann man zu alt wer­den fürs Aut­o­fahren?

  • Lyrik und Rap: Die härteste Gan­gart am Start | ZEIT ONLINE — uwe kolbe spricht mit mach one (seinem sohn) und kon­stan­tin ulmer über lyrik, raps, rhyth­mus und the­men der kun­st

    Dass ich mit meinen Gedicht­en kein großes Pub­likum erre­iche, ist für mich etwas, worunter ich sel­ten lei­de. Ich möchte das, was ich mache, auf dem Niveau machen, das mir vorschwebt. Dabei nehme ich auch keine Rück­sicht mehr. Ich gehe an jeden Rand, den ich erre­ichen kann.

  • Rainald Goetz: Der Weltab­schreiber | ZEIT ONLINE — sehr schöne und stim­mende (auch wenn das the­ater fehlt …) würdi­gung rainald goet­zes durch david hugen­dick anlässlich der bekan­nt­gabe, dass goetz diesjähriger büch­n­er-preis-träger wird

    Die einzige Reak­tion auf die Zudringlichkeit der Welt kann nur in deren Pro­tokoll beste­hen, die zugle­ich ein Pro­tokoll der eige­nen Über­forderung sein muss.

  • “Panora­mafrei­heit”: Wider den Urhe­ber­rechts-Extrem­is­mus — Süddeutsche.de — leon­hard dobusch zum ver­such, in der eu das urhe­ber­recht noch weit­er zu ver­schär­fen:

    Wir alle sind heute ein biss­chen wie Licht­en­stein oder Warhol. Wir erstellen und teilen ständig Fotos und Videos, in denen Werke ander­er vorkom­men. Zeit, dass das Urhe­ber­recht darauf einge­ht.

  • Stravinsky’s Ille­gal “Star Span­gled Ban­ner” Arrange­ment | Tim­o­thy Judd — ich wusste gar nicht, dass es von straw­in­sky so ein schönes arrange­ment der amerikanis­chen hmyne gibt. und schon gar nicht, dass die ange­blich ver­boten sein soll …
  • Essay Griechen­land und EU: So deutsch funk­tion­iert Europa nicht — taz.de — ulrich schulte in der taz zu griechen­land und der eu, mit vie­len sehr guten und tre­f­fend­en beobach­tun­gen & beschrei­bun­gen, unter anderem diesen

    Von CSU-Spitzenkräften ist man inzwis­chen gewohnt, dass sie jen­seits der bay­erischen Lan­des­gren­ze so dumpf agieren, als gössen sie sich zum Früh­stück fünf Weiß­bier in den Hals.
    […] Das Char­mante an der teils irrlichtern­den Syriza-Regierung ist ja, dass sie einge­spielte Riten als nackt ent­larvt.

  • Sich „kon­struk­tiv ver­hal­ten“ heißt, ernst genom­men zu wer­den | KRZYSZTOF RUCHNIEWICZ — Stel­lung­nahme ehe­ma­liger Mit­gliedern des Wis­senschaftlich Beraterkreis­es der (sowieso über­mäßig vom Bund der Vertreibenen dominierten) Stiftung Flucht, Vertrei­bung, Ver­söh­nung zur Farce der Wahl des neuen Direk­tors unter Kul­turstaatsmin­is­terin Moni­ka Grüt­ters
  • Kon­sum: Kleine Geschichte vom richti­gen Leben | ZEIT ONLINE — marie schmidt weiß nicht so recht, was sie von craft beer, handgeröstetem kaf­fee und dem ganzen zele­bri­erten super-kon­sum hal­ten soll: fetisch? rückbesin­nung alte handw­erk­liche werte? oder was?
  • Alle Musik ist zu lang — wun­der­bare über­legun­gen von diet­mar dath zur musik, der welt und ihrer philoso­phie

    Alle bere­its vorhan­dene, also aufgeschriebene oder aufgeze­ich­nete Musik, ob als Schema oder als wieder­gabefähige Auf­führung erhal­ten, ist für Men­schen, die heute Musik machen wollen, zu lang, das heißt: Das kön­nen wir doch nicht alles hören, wir wollen doch auch mal anfan­gen. Wie gesagt, das gilt nicht nur für die Werke, son­dern schon für deren Muster, Prinzip­i­en, Gat­tun­gen, Tech­niken.
    […] Musik hält die Zeit an, um sie zu ver­brauchen. Während man sie spielt oder hört, passiert alles andere nicht, insofern han­delt sie von Ewigkeit als Ereig­nis- und Taten­losigkeit. Aber bei­de Aspek­te der Ewigkeit, die sie zeigt, sind in ihr nicht ein­fach irgend­wie gegeben, sie müssen hergestellt wer­den: Die Ereignis­losigkeit selb­st geschieht, die Taten­losigkeit selb­st ist eine musikalis­che Tat.

  • Lit­er­atur­blogs are bro­ken | The Dai­ly Frown — fabi­an thomas attestiert den “lit­er­atur­blogs” “fehlende Dis­tanz, Gefall­sucht und Harm­losigkeit aus Prinzip” — und angesichts mein­er beobach­tung (die ein eher kleines und unsys­tem­a­tis­ches sam­ple hat) muss ich ihm lei­der zus­tim­men.
  • Inter­view ǀ „Ent-iden­ti­fiziert euch!“ — der Fre­itag — großar­tiges gespräch zwis­chen har­ald fal­ck­en­berg und jonathan meese über wag­n­er, bayreuth, kun­st und den ganzen rest:

    Ja, ich hab total auf lieb Kind gemacht. Ich merk­te ja schon, dass ich im Wag­n­er-Forum so als Mon­ster dargestellt wurde. Ich bin kein Mon­ster. Ich wollte das Ding nur radikalisieren. Ich hab auf nett gemacht und so getan, als wäre ich gar nicht ich selb­st. Was ich ja immer tue. Sei niemals du selb­st. Keine Selb­st­suche, bitte. Keine Pil­ger­fahrt. Keine Möncherei. Ich bin ein­fach wie ’n Spielkind da range­gan­gen, und ich dachte, jet­zt geht’s ab.
    […] Kul­tur ist genau­so beschissen wie Gegenkul­tur. Main­stream ist genau­so beschissen wie Under­ground. Kul­tur und Gegenkul­tur ist das Gle­iche. Poli­tik kannst du nicht mit Kul­tur bekämpfen. Son­dern nur mit Kun­st. Du kannst nicht eine neue Partei grün­den, weil sie genau­so scheiße ist wie jede andere. Du kannst keine neue Reli­gion grün­den, weil sie genau­so scheiße ist wie alle anderen. Du kannst keine neue Eso­terik schaf­fen, weil sie genau­so scheiße ist wie jede andere. Du kannst keine Spir­i­tu­al­ität schaf­fen, die bess­er wäre als alle anderen.
    Jede Partei ist gle­ich scheiße, jede Reli­gion ist gle­ich zukun­ft­sun­fähig, jede Eso­terik ist abzulehnen. Ich benutze Eso­terik, aber ich iden­ti­fiziere mich nicht damit. Ich iden­ti­fiziere mich nicht mit Wag­n­er, ich iden­ti­fiziere mich nicht mit Bayreuth, ich iden­ti­fiziere mich mit gar nichts.
    Ent-iden­ti­fiziert euch! Seid nicht mehr! Seid eine Num­mer! Seid endlich eine Num­mer!
    Das ist geil. Seid kein Name! Seid kein Indi­vidu­um! Seid kein Ich! Macht keine Nabelbeschau, keine Pil­ger­reise, geht niemals ins Kloster, guckt euch niemals im Spiegel an, guckt immer vor­bei!
    Macht niemals den Fehler, dass ihr auf den Trip geht, euch selb­st spiegeln zu wollen. Ihr seid es nicht. Es ist nicht die Wichtigtuerei, die die Kun­st aus­macht, son­dern der Dienst an der Kun­st. Die Kun­st ist völ­lig frei. Meine Arbeit, die ist mir zuzuschreiben, aber nicht die Kun­st. Die spielt sich an mir ab.

  • Eine Bemerkung zur Kom­pe­ten­zori­en­tierung by Fach­di­dak­tik Deutsch -

    »Fak­ten­wis­sen« kommt nicht zuerst, wenn Kom­pe­ten­zori­en­tierung ernst genom­men wird – Kön­nen kommt zuerst. Kom­pe­ten­zori­en­tierung bedeutet, die Ler­nen­den zu fra­gen, ob sie etwas kön­nen und wie sie zeigen kön­nen, dass sie es kön­nen. Weil ich als Lehren­der nicht mehr zwin­gend sagen kann, auf welchem Weg dieses Kön­nen zu erre­ichen ist. Dass dieses Kön­nen mit Wis­sen und Moti­va­tion gekop­pelt ist, ste­ht in jed­er Kom­pe­ten­zde­f­i­n­i­tion. Wer sich damit auseinan­der­set­zt, weiß das. Tut das eine Lehrkraft nicht, ist das zunächst ein­fach ein­mal ein Zeichen dafür, dass sie sich nicht mit Kom­pe­ten­zori­en­tierung beschäftigt hat. Fehlt diese Bere­itschaft, müssen zuerst die Voraus­set­zun­gen dafür geschaf­fen wer­den.

  • Essay zum UN-Weltkul­turerbe: Mord mit besten Absicht­en — taz.de -

    Und immer noch drän­geln die Städte, die Dör­fer, die Regio­nen, dass sie ja als Erste ein­bal­samiert wer­den. Wie die Län­der, die sich um Olymp­is­che Spiele bewer­ben, ohne sich klarzu­machen, dass sie damit ihren Unter­gang her­auf­beschwören wie Griechen­land mit Athen.

  • Wie man nicht für die Vor­rats­daten­spe­icherung argu­men­tiert | saschalobo.com — sascha lobo seziert den tweet von rein­hold gall. wie (fast) immer exzel­lent. schade (und mir unver­ständlich), dass solche texte in den großen, pub­likum­swirk­samen medi­en keinen platz find­en — warum ste­ht das nicht im print-spiegel, der gedruck­ten faz oder süd­deutschen?
  • Sex (und gen­der) bei der Fifa | Männlich-weib­lich-zwis­chen — ein schön­er text zum prob­lem der bes­tim­mung des geschlechts, des biol­o­gis­chen, wie es die fifa ver­sucht — näm­lich über den testos­teron-spiegel. mit dem (inzwis­chen erwart­baren) resul­tat: so kann man das jeden­falls nicht machen.

    an darf also ver­muten und hof­fen, dass auch diese Def­i­n­i­tion von sex zu sportlichen Zweck­en dem­nächst, wie bish­er alle anderen Def­i­n­i­tio­nen auch, als unbrauch­bar und absurd erweisen – aber wohl, eben­falls wie immer, erst zu spät.

Ins Netz gegangen (16.7.)

Ins Netz gegan­gen (15.7.–16.7.):

  • “Wahrschein­lich habe ich ein­fach ein Ohr dafür” — Ver­leger Engel­er über seine Liebe zur Lyrik und | The­ma | Deutsch­landra­dio Kul­tur — Gespräch mit Urs Engel­er, u.a. über gute Gedichte:

    Inter­es­sante Gedichte, die haben bei jedem Lesen neue Erleb­nisse auf Lager für uns. Es gibt ganz viele Dinge zu beobacht­en, das heißt, man muss schon sehr geduldig sein, um hin­ter diese Qual­itäten zu kom­men, aber qua­si je nach­haltiger ich beschäftigt werde durch einen Text, desto inter­es­san­ter scheint er mir, und unterm Strich würde ich dann auch sagen, desto mehr Qual­itäten scheint er mir zu haben, sprich, desto bess­er ist er.

  • 100 Jahre Tour de France | ZEIT ONLINE — Schneefall im Juli: “Die Zeit” bere­it­et ihre Tour-de-France-Reportage(n) nach dem Snow-Fall-Mod­ell der New York Times hüb­sch auf (trotz des kleinen Fehlers in der Über­schrift …)
  • 30 Jahre Spex — taz.de — Diedrich Diederich­sen im taz-Inter­view über den Jubiläums­band der “Spex” und die “Spex” über­haupt:

    Etwas war so begeis­ternd, es gibt so viel darüber zu wis­sen, man muss viel weit­er in die Tiefe gehen. Wenn man eine Güter­ab­wä­gung macht zwis­chen gelun­gener Kom­mu­nika­tion, also zwis­chen soge­nan­nter Ver­ständlichkeit und der Treue zum Gegen­stand, oder der Treue gegenüber der eige­nen Begeis­terung, bin ich für Let­zteres. Die Rezep­tion­sek­stase hat bei mir immer Vor­rang vor dem gelun­genen Kom­mu­nika­tionsvor­gang. Ein­er, der in eine Rezep­tion­sek­stase gerät, ist doch viel inter­es­san­ter zu beobacht­en als jemand, der Infor­ma­tio­nen verteilt.

  • 7 Tage — 7 Fra­gen – FIXPOETRY.com — Nora Gom­ringer beant­wortet sieben Fra­gen Ulrike Draes­ners — z.B. so:

    Die Stimme ist die Schlange im Hals.

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