Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: festival

Ins Netz gegangen (13.11.)

Ins Netz gegan­gen am 13.11.:

Ins Netz gegangen (21.8.)

Ins Netz gegan­gen am 21.8.:

  • „Geburt der Gegen­wart“: Wenn der Mond den Fri­seur­ter­min bestimmt | Ber­li­ner Zei­tung – stef­fen mar­tus hat achim land­wehrs „geburt der gegen­wart“ gele­sen:

    Der Düs­sel­dor­fer His­to­ri­ker Achim Land­wehr geht die­sen Fra­gen bis in jene Epo­che nach, als die Kalen­der die Welt erober­ten. Die Vor­ge­schich­te unse­rer zeit­li­chen Ver­stri­ckung in Ter­mi­ne und Daten ist dabei nur ein Bei­spiel für jene „Geburt der Gegen­wart“, von der er anschau­lich, anek­do­ten­reich und klug erzählt: In der Frü­hen Neu­zeit büß­te die Ver­gan­gen­heit in bestimm­ten Berei­chen ihre Auto­ri­tät ein, wäh­rend die Zukunft noch nicht als Objekt mensch­li­cher Ver­fü­gung wirk­te. In einer Art Zwi­schen­pha­se dehn­te sich die Gegen­wart als „Mög­lich­keits­raum“ aus und bahn­te damit jenes Zeit­re­gime an, dem wir heu­te unter­ste­hen.

  • Lite­ra­tur­de­bat­te : Der Buch­preis ist kei­ne Geschlechts­um­wand­lung wert – Lite­ra­ri­sche Welt – DIE WELT – mar­le­ne stre­eru­witz über den buch­preis und sei­ne struk­tu­ren und funk­tio­nen:

    Aber. Der Deut­sche Buch­preis ist das fröh­lichs­te Bei­spiel, wie die qua­si­re­li­giö­se Ein­deu­tig­keit eines Mar­ke­ting­in­stru­ments her­ge­stellt wird. In einer kon­stru­ie­ren­den Vor­gangs­wei­se wird der Bör­sen­ver­ein selbst zum Autor der Ver­mark­tung der Autoren und Autorin­nen im Deut­schen Buch­preis.

    Das alles erfolgt im Archil­e­xem (der Ver­wen­dung der männ­li­chen Form der Bezeich­nung, unter der die weib­li­che Form mit­ge­meint ist): In den Aus­sen­dun­gen des Bör­sen­ver­eins gibt es nur Autoren und kei­ne Autorin­nen. Auch das gehört zur Stra­te­gie der Ein­deu­tig­keit. Es gibt kei­ne Geschlech­ter­dif­fe­renz, sagen sol­che For­mu­lie­run­gen. Stellt euch unter die männ­li­che Form und lasst dif­fe­ren­zie­ren­de Kin­ker­litz­chen wie die geschlech­ter­ge­rech­te Spra­che sein. Nur in ein­deu­ti­gen For­mu­lie­run­gen gelingt ein umfas­sen­des Spre­chen, in dem Bücher ver­kauft wer­den kön­nen. Popu­lis­mus wird nicht nur in Kauf genom­men. Popu­lis­mus ist erwünscht.

  • Ste­fan Nig­ge­mei­er | Neu­es von Wert­her: Sui­zid-Häu­fung nach brei­ter Sui­zid-Bericht­erstat­tung – nig­ge­mei­er berich­tet über eine ame­ri­ka­ni­sche stu­die, die indi­zi­en für den wert­her-effekt beob­ach­ten konn­te:

    Selbst­mord ist anste­ckend. Bericht­erstat­tung über Sui­zi­de erhöht die Zahl der Sui­zi­de. Eine neue Stu­die aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten lie­fert wei­te­re Indi­zi­en dafür, dass die­ser soge­nann­te „Wert­her-Effekt“ tat­säch­lich exis­tiert.

  • Algo­rith­men: Fer­gu­son zer­split­tert in den sozia­len Netz­wer­ken | ZEIT ONLINE – gün­ter hack:

    Der der­zei­ti­ge Umgang mit der algo­rith­mi­schen Per­so­na­li­sie­rung ist die Voll­endung des Neo­li­be­ra­lis­mus auf Ebe­ne der öffent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on. Wenn du etwas nicht gese­hen hast, dann bist du selbst Schuld, weil du den Algo­rith­mus von Face­book ent­spre­chend trai­niert hast oder dir die Pro­fi-Ver­si­on mit dem bes­se­ren Zugang zu den Daten nicht leis­ten kannst.

  • Inter­view mit Hei­ner Goeb­bels, dem Inten­dan­ten der Ruhr­tri­en­na­le | Lesen was klü­ger macht – hol­ger pau­ler befragt hei­ner goeb­bels zu sei­nen erfah­run­gen in und mit der ruhr­tri­en­na­le und vor allem der „frei­en sze­ne“ (und am schluss auch zu „cas­si­ber“). hei­ner goeb­bels:

    In Deutsch­land gibt es für eine bestimm­te Liga von frei­en Künst­le­rin­nen und Künst­lern kaum Pro­duk­ti­ons­spiel­räu­me. Es gibt zwar ein welt­weit ein­zig­ar­ti­ges Thea­ter­sys­tem, das ist aller­dings einer gewis­sen Mono­kul­tur ver­pflich­tet, die sich auf das Opern‑, Schauspiel‑, oder Orches­ter­re­per­toire bezieht – dar­über hin­aus blei­ben weni­ge Mög­lich­kei­ten für freie Kunst. Die­se Lücke woll­te ich mit der Ruhr­tri­en­na­le zu schlie­ßen ver­su­chen.

  • [AMA] Ich bin Ste­fan Nig­ge­mei­er. Fragt mich alles! : de_​IAmA
  • Intro­du­cing TapP­ath for Android – You­TubeIntro­du­cing TapP­ath for Android! – eine schö­ne klei­ne app, die das leben (und sur­fen) auf einem andro­iden ein­fa­cher und ange­neh­mer macht

Ins Netz gegangen (22.7.)

Ins Netz gegan­gen (22.7.):

  • 18 Tage in einer Welt ohne Mensch­lich­keit – Gesellschaft/​Leben – Im Reich des Todes Die gan­ze Welt schaut nach Kai­ro – zugleich fol­tern Bedui­nen auf der ägyp­ti­schen Sinai-Halb­in­sel Tau­sen­de afri­ka­ni­sche Migran­ten, um Löse­geld zu erpres­sen. Und gleich neben­an machen ahnungs­lo­se deut­sche Tou­ris­ten Urlaub. Unter­wegs durch eine Regi­on, in der kri­mi­nel­le Gewalt, Tou­ris­mus und Welt­po­li­tik nahe bei­ein­an­der­lie­gen.
  • Fest­spiel-Infla­ti­on : Kommt der Som­mer, blüht die Fes­ti­vali­tis – DIE WELT – Manu­el Brug bringt es in der WELT auf den Punkt:

    Ohne den regu­lä­ren, hoch sub­ven­tio­nier­ten Betrieb, der die Künst­ler her­an­züch­tet, die Kol­lek­ti­ve unter­hält, gäbe es kei­ne Fes­ti­valsai­son. Eine Insti­tu­ti­on wie das Fest­spiel­haus Baden-Baden wird zwar direkt kaum sub­ven­tio­niert, aber sei­ne Star­vio­li­nis­tin­nen und Sopran­pri­ma­don­nen sind anders­wo groß gewor­den. Hier schöp­fen sie nur in meist risi­ko­lo­sen Pro­gram­men den Rahm ihrer Exis­tenz ab.

  • Fefes Blog – „Die sind ja selbst zum Lügen zu däm­lich! Das ist doch die ein­zi­ge Kern­kom­pe­tenz, die Poli­ti­ker haben!“ >

Jazz oder so

Das bes­te kam mal wie­der zum Schluss. Das ist schon eine klei­ne Tra­di­ti­on bei den Main­zer Jazz­ta­gen, dass die beein­dru­ckends­ten Auf­trit­te erst wirk­lich spät am Abend begin­nen. Die Ver­an­stal­ter, die Betrei­ber der Main­zer Klang­raum-Stu­di­os, haben ja inzwi­schen schon Erfah­rung. Zum fünf­ten Mal rich­te­ten sie jetzt die Main­zer Jazz­ta­ge aus. Das Jazz im Titel darf man dabei getrost sehr, sehr weit fas­sen und ger­ne in Rich­tung Pop­mu­sik aus­deh­nen.

Auch bei der Eröff­nung der Jubi­lä­ums­auf­la­ge, wie immer in den gut beset­zen Räu­men der Show­büh­ne, waren die Pro­gramm­ma­cher groß­zü­gig: Was Til­mann Höhn da auf sei­nen Gitar­ren – er hat gleich vier davon in den Hän­den – fri­ckel­te, kann man nach allen bekann­ten Kri­te­ri­en nun wirk­lich nicht mehr Jazz nen­nen. Gut war es trotz­dem, und das Publi­kum lausch­te auch den fein­sin­ni­gen Spie­le­rei­en, denen er bekann­te und belieb­te Pop­songs unter­zog, sehr auf­merk­sam.

Auch mit der voka­len Unter­stüt­zung von Mari­us Mertz änder­te sich dar­an wenig: „Songs we know“ haben sie ihr Pro­gramm genannt – und wür­de man nicht so andäch­tig lau­schen, könn­te man tat­säch­lich immer mit­sin­gen oder wenigs­tens mit­sum­men, wenn das Duo U2, James Tay­lor oder Mark Knopf­ler inter­pre­tiert.

Über­haupt die Spie­le­rei­en: Das ist viel­leicht das, was die Acts auch bei den fünf­ten Jazz­ta­gen am ehes­ten ver­bin­det: Die Lust, sich in den Details zu ver­lie­ren, hoff­nungs­los an jedem Klang­mo­ment her­um­zu­spie­len und zu bas­teln. Schon die Eröff­nung durch das Quar­tett „The Hip“, des­sen Name sich wirk­lich auf das Kör­per­teil und nicht auf irgend eine Hipp­ness bezieht, führ­te das vor. Im Kern spie­len die vier jun­gen Musik um Saxo­pho­nist Dani­el Gug­gen­heim soli­den Modern Jazz mit behut­sam noch­mals moder­ni­sier­te Stan­dards. Und das lebt eben vor allem von den Details: Den qur­ir­li­gen Fen­der Rho­des (Ulf Klei­ner), dem knal­len­den Schlag­zeug (Tobi­as Back­haus), den eif­ri­gen Saxo­phon­kas­ka­den und dem beru­hi­gend wum­mern­den Bass (Hanns Höhn). Gekonnt und prä­zi­se – aber etwas spar­sam mit dem Neu­en.

Das kann man Kli­ma Kali­ma nicht unbe­dingt vor­wer­fen. Und des­halb waren sie auch ganz zu Recht am Schluss des Frei­tags zu hören, eigent­lich auch schon als Sams­tag­mor­gen­mu­sik: Die­ses Trio, benannt in Anleh­nung an sei­nen Lea­der und Gitar­ris­ten Kal­le Kali­ma, fetzt unbarm­he­zig und ohne Vor­war­nung los. Ihre typi­sche Ber­li­ner Mischung aus genau kom­po­nier­ten und inspi­riert impro­vi­sier­te Gebil­den greift ger­ne weit aus. Die spür­ba­re Kom­ple­xi­tät ist dabei immer gewollt. Trotz­dem bleibt die Musik von Kli­ma Kali­ma aber ganz stark bidlich – durch die Titel wird das noch unter­stri­chen: „Mexi­co City Dri­ve School“ heißt das, oder „Satur­day Night – Sun­day Mor­ning“: Eine wil­de, rau­schen­de Par­ty, der ver­schla­fe­nes und schlaf­trun­ke­nes Vaga­bun­die­ren folgt, prü­geln Oli­ver Steid­le am Schlag­zeug und Oli­ver Potratz (Kon­tra­bass) da aus sich her­aus – nicht nur eine „Son­ne aus Musik“, son­dern eigent­lich eine gan­ze Gala­xie, ein end­lo­ser Rei­gen an Bil­dern, Ideen, Bre­chun­gen und laby­rin­thi­schen Erkun­dungs­tou­ren.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

jazz oder was? die dritten jazztage des mainzer klangraums

zumin­dest der ers­te tag, beim zwei­ten abend konn­te ich lei­der nicht dabei sein. aber die ers­te hälf­te war schon ziem­lich an- & auf­re­gend – genau wie es das lin­e­up ver­hieß: tri­band, frau con­tra bass, dani­el stel­ter band etc.

hier mei­ne betrach­tun­gen für die main­zer rhein-zei­tung:
Zwei Duos und zwei Quar­tet­te: Schon der Auf­takt der drit­ten Klang­raum-Jazz­ta­ge Mainz bot ein reich­hal­ti­ges Pro­gramm: Mit Blue Snow, Frau­Con­tra­Bass, Tri­band und der Dani­el-Stel­ter-Band war das Pro­gramm nicht nur gut voll­ge­packt, son­dern auch sehr unter­schied­lich bestückt. Und eini­ge Bekann­te waren ja auch dabei, zusam­men mit den neu­en Gesich­tern beim aus­ver­kauf­ten ers­ten Tag in der Show­büh­ne. Die Ver­an­stal­ter vom Klang­raum-Stu­dio freut der wach­sen­de Zuspruch, die am am Ein­gang ver­geb­lich noch um Ein­lass bit­ten­den ver­mut­lich weni­ger. Ddenn sie ver­pass­ten wirk­lich eini­ges. Nach dem lei­sen, fein­sin­nig-ver­spon­nen Auf­takt von Blue Snow, dem schwei­ze­ri­schen Per­cus­sio­nis­ten-Duo, das mit Marim­ba­phon, Vibra­phon und auch auf dem umfunk­tio­nier­ten Ikea-Tisch Rhyth­men aller mög­li­chen Her­künf­te ganz ohne schwei­zer Gemüt­lich­keit misch­te, war es aber mit der Ruhe und Gelas­sen­heit ganz schnell vor­bei.
Frau­Con­tra­Bass, das ande­re Duo, erfreu­ten schon im letz­ten Jahr bei den Jazz­ta­gen. Auch jetzt hat­ten Sän­ge­rin Katha­ri­na Debus und Bas­sist Hanns Höhn wie­der viel lau­ni­ge Musik dabei. Mit Stevie Won­der, Jami­ro­quai und vie­len ande­ren wid­men die bei­den sich der Lie­be – der kör­per­li­chen und der pla­to­ni­schen, der erfüll­ten und der ver­sag­ten. Trotz der Reduk­ti­on des musi­ka­li­schen Mate­ri­als erzeu­gen sie groß­ar­ti­ge Effek­te: Höhn schram­melt, zupft, klopft und reibt an allen Ecken und Enden sei­nes Kon­tra­bas­ses, Debus lässt ihre kräf­ti­ge, vol­le Stim­me röh­ren, scat­ten und schmei­cheln.
Auch die Dani­el-Stel­ter-Band, die zum Schluss, gegen Mit­ter­nacht, als das Publi­kum schon anfing zu schwä­cheln, der Show­büh­ne ein­heiz­te, war im letz­ten Jahr schon zu Gast. Und immer noch schei­nen die vier Män­ner über uner­schöpf­li­che Ener­gie­re­ser­voirs zu ver­fü­gen. Die Rhyth­mus­grup­pe ist zwar per­so­nal­iden­tisch mit der von Tri­band. Aber mit Ulf Klei­ner an den Fen­der-Rho­des und Dani­el Stel­ters sowie sei­ner E‑Gitarre wird das ganz anders: Die druck­vol­len, kna­ckig dröh­nen­den Groo­ves wer­den mit dem Mut und der Kraft zu ganz schlich­ten, betö­ren­den Melo­dien gro­ßer Prä­gnanz kon­fron­tiert und ergänzt. Egal, ob als Hom­mage an einen Hip­Hop­per oder in der trau­ri­gen Geschich­te eines unter­ge­hen­den Papier­böt­chens: Alles über­flüs­si­ge wird gna­den­los ent­sorgt, auf der Suche nach dem Opti­mum ihrer Musik ist das Quar­tett schon ziem­lich nah am Ziel.
Damit knüp­fen sie nicht nur per­so­nell an Tri­band an. Auch die machen nicht ger­ne vie­le unnö­ti­ge Wor­te und Töne. Aber sie sind exal­tier­ter, expe­ri­men­tier­freu­di­ger. Ihre Mischung aus Pop, Jazz, Funk und einem reich­li­chen Schuss Soul ist dabei aber auch wun­der­bar aus­ge­feilt. Und live noch bes­ser als im Stu­dio: Noch prä­zi­ser in den Stim­mun­gen, noch genau­er und auch noch kon­zen­trier­ter, noch – was man kaum glau­ben mag – ein biss­chen mehr ent­schlackt und zugleich gna­den­los fokus­siert. Die­se Stren­ge, gepaart mit der unbän­di­gen Freu­de – die Musi­ker schei­nen oft noch mehr Spaß zu haben als das auch schon begeis­ter­te Publi­kum – das ist so zwin­gend, so unbarm­her­zig rich­tig – und so wun­der­bar gut.
Und es ist eine herr­li­che Ergän­zung für die Jazz­ta­ge und passt genau in deren Pro­fil. Nach dem ers­ten Abend war ja noch nicht Schluss: Am Sams­tag ging es genau­so bunt und umfang­reich wei­ter – dies­mal mit der Phoe­nix-Foun­da­ti­on und Lars Reichow, mit dem akus­ti­schen Jazz von Spa­ni­ol 4, dem elek­tro­nisch abge­schmeck­ten Klän­gen von „2 fishes in the big big sea“ und den haus­ei­ge­nen Vibes.

oh, merry england!

Der arme Ste­ven Devi­ne. Der Cem­ba­list muss am Schluss einen ziem­lich stei­fen Hals gehabt haben. Denn mehr als in sei­ne Noten blick­te er beim Kon­zert in der Augus­ti­ner­kir­che zu sei­nen Ensem­ble­kol­le­gen von Lon­don Baro­que. Und dafür muss­te er stän­dig schrägt über sei­ne rech­te Schul­ter schau­en. Die Ver­ren­kun­gen haben sich aber gelohnt. Zumin­dest für das Publi­kum, das so Erst­klas­si­ges zu hören bekam.

Die per­ma­nen­te visu­el­le Kom­mu­ni­ka­ti­on des Quar­tetts, die nicht nur vom Cem­ba­lo aus­ging, son­dern den Gam­bis­ten Charles Med­lam genau­so ein­be­zog wie die bei­den Gei­ge­rin­nen Ingrid Sei­fert und Han­nah Med­lam, die­se stän­di­ge gegen­sei­ti­ge Kon­trol­le und Ver­ge­wis­se­rung der Gemein­sam­kei­ten führt zu einem star­ken, wun­der­bar kon­zen­trier­ten Klang­bild. Die Erfah­rung aus über drei­ßig Jah­ren gemein­sa­men Musi­zie­rens hilft da natür­lich auch noch. Jeden­falls gab es eini­ges zu sehen: Nicht nur auf­merk­sa­me, hell­wa­che und kom­mu­ni­ka­ti­ve Musi­ker, deren Bli­cke sich öfter kreuz­ten als ihre Melo­dien, son­dern auch ganz viel Bewe­gung: Da tanz­ten die Bögen mun­ter über die Sai­ten und die Fin­ger wir­bel­ten die Griff­bret­ter hoch und run­ter – Lan­ge­wei­le hat­te kei­ne Chan­ce in der Augus­ti­ner­kir­che.

Nur der Bach-Noten­band auf dem Pult vor Devi­ne blieb stum­mes, unbe­weg­li­ches Requi­sit – ganz der eng­li­schen Musik hat­ten die Lon­do­ner sich gewid­met. Natür­lich, wür­de man sagen, wüss­te man nicht, dass die Lon­do­ner auch ganz aus­ge­zeich­net deut­sche und ita­lie­ni­sche Barock­mu­sik spie­len kön­nen. Aber davon gab es die­ses Mal nur in der Zuga­be eine klit­ze­klei­ne Kost­pro­be.

Eng­li­sche Musik des 17. Jahr­hun­dert also – das ist vie­les, was kaum noch jemand wirk­lich kennt: Kam­mer­mu­sik von Kom­po­nis­ten wie John Jenk­ins, Chris­to­pher Simpson, Wil­liam Lawes oder Matthew Locke ist heu­te nicht mehr sehr ver­brei­tet. Zu ihrer Zeit waren das in und um Lon­don aber alles aus­ge­wie­se­ne, geschätz­te Meis­ter. Die For­men rei­chen von emp­find­sa­men Tanz­sät­zen – groß­ar­tig etwa das Cem­ba­lo­so­lo „A sad Pavan for the­se dis­trac­ted times“, in der Tho­mas Tom­kins die Wir­ren nach der Hin­rich­tung des Königs Charles in eine für das 17. Jahr­hun­dert extrem emo­tio­na­le Musik fasst – bis zur typi­schen eng­li­schen Gat­tung der Grounds. Von die­sen frei­en Varia­tio­nen über ein wie­der­hol­tes Bass­the­ma hat­te das Ensem­ble eini­ge dabei, etwa Chris­to­pher Simpsons “Ground Divi­si­ons“, die dem Gam­bis­ten Charles Med­lam viel Mög­lich­kei­ten gab, nicht nur sei­ne Fin­ger­fer­tig­keit, son­dern auch sei­nen Ein­falls­reich­tum vor­zu­füh­ren.

Die abschlie­ßen­de Hän­del-Sona­te – in Eng­land gilt Geor­ge Fre­de­ric Han­del ja genau­so selbst­ver­ständ­lich als Eng­län­der wie hier als Deut­scher – aller­dings war dann nicht mehr ganz so typisch eng­lisch. Aber Lon­don Baro­que ist kosm­po­li­tisch genug, auch das zu meis­tern: Mit ihrer typi­schen Ein­füh­lungs­kraft und der wun­der­bar wach­sa­men, reak­ti­ons­freu­di­gen Gemein­sam­keit ihres ener­gi­schen Spiels mach­ten sie sich Hän­del genau­so zu eigen wie den Rest des Pro­gramms.

(gechrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

haydn, nichts als haydn: die eröffnung des mainzer musiksommers

Fest­li­cher geht es kaum. Pas­sen­der aber auch nicht: Denn die fei­er­li­che Eröff­nung des Main­zer Musik­som­mers – der die­ses Jahr schon sei­nen zehn­ten Geburts­tag fei­ern kann – ver­bin­det sich im ers­ten Kon­zert mit einer inten­si­ven Wür­di­gung eines der dies­jäh­ri­gen Jubi­la­re der Musik­ge­schich­te. Dom­ka­pell­meis­ter Mathi­as Breit­schaft diri­gier­te zum Auf­takt der dies­jäh­ri­gen, gemein­sam von SWR und der Stadt Mainz ver­an­stal­te­ten Kon­zert­rei­he, näm­lich ein rei­nes Haydn-Pro­gramm. Und obwohl er in „sei­nem“ Raum, dem Dom, natur­ge­mäß vor­wie­gend Kir­chen­mu­sik her­an­zog, ein glei­cher­ma­ßen reprä­sen­ta­ti­ves und abwechs­lungs­rei­ches. Denn neben dem Zen­trum, der Gro­ßen Orgel-Solo-Mes­se und dem „Te Deum Lau­da­mus“ noch zwei Orgel­kon­zer­te aus dem rei­chen Fun­dus, den Haydn auch da hin­ter­las­sen hat.

Der Lim­bur­ger Orga­nist Mar­kus Eichen­laub meis­ter­te dabei auch die vir­tuo­sen Pas­sa­gen fast non­cha­lant, immer mit coo­lem under­state­ment und läs­si­ger Ele­ganz, die ihre Wir­kung vor allem aus der leicht dahin flie­gend, locker und ent­spannt wir­ken­den tech­ni­schen Prä­zi­si­on schöpf­te. Das Kur­pfäl­zi­sche Kam­mer­or­ches­ter ließ Breit­schaft etwas erdi­ger und stär­ker grun­diert beglei­ten. So bot er dem Solis­ten viel Raum, der sich – aus der Par­ti­tur spie­lend – aber lie­ber zurück­hielt und geschmei­dig in den Gesamt­klang ein­glie­der­te.

Doch im Zen­trum des Eröff­nungs­kon­zer­tes stand mit der gro­ßen und groß­ar­ti­gen Mes­se eine fröh­lich-über­schwäng­li­che Ver­to­nung des Ordi­na­ri­ums. Und Breit­schaft ließ kei­nen Zwei­fel an sei­ner Bereit­schaft, der Mes­se nicht nur Power ohne Ende mit­zu­ge­ben, son­dern auch stark kon­tras­tie­ren­de zar­te und inni­ge Momen­te. Und dann wie­der war die Mess­ver­to­nung sprit­zig-pul­sie­rend bis zur Gren­ze des Wahn­wit­zes. Aber es ging alles gut – der Dom­kam­mer­chor war bes­tens prä­pa­riert und ver­wöhn­te mit jugend­lich-fri­schem und schlan­ken Klang. Und die ver­sier­ten Solis­ten, neben der gewohnt sou­ve­rä­nen Janice Cres­well und der kla­ren Dia­na Schmid sowie dem zurück­hal­ten­den Bass Cle­mens Breit­schaft vor allem der cha­ris­ma­ti­sche und enga­gier­te Tenor Dani­el Jenz, lie­ßen auch kei­ne Wün­sche offen.

Ähn­lich forsch ging der Dom­kap­pell­meis­ter auch das C‑Dur-Te deum an. Das wur­de dann so rasant und ener­gie­prot­zend, dass es fast einen Tick ange­be­risch wirk­te. Aber nur fast: Denn Breit­schaft blieb immer gera­de noch so kon­trol­liert und ziel­ge­rich­tet, dass das Te deum zu einer unwi­der­steh­li­chen Ver­füh­rung, einer sanf­ten, unmerk­li­chen Über­re­dung hin zu Glau­ben und Kir­che, wur­de. Dass so wun­der­schö­ne Musik ent­stand, war fast nur ein Neben­pro­dukt. Aber wenn das so gut gelingt, dann lässt man ihm die Absicht zur Ver­füh­rung – die schließ­lich durch­aus im Sin­ne Haydns ist – ger­ne durch­ge­hen. Und hofft, dass die rest­li­chen Kon­zer­te des Musik­som­mers genau­so vie­le Ver­hei­ßun­gen preis­ge­ben wer­den.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

jazz im klangraum: jazztage mainz, tag 1

Beim ers­ten Mal hät­te es noch Glück sein kön­nen, beim zwei­ten Mal kann der Erfolg der Jazz­ta­ge Mainz kein Zufall mehr sein. Acht Bands in zwei Tagen ist eine Men­ge Musik, aber im „Klang­raum“, wie die Orga­ni­sa­to­ren sich nen­nen, ist Platz für vie­les. Musi­ka­li­sche Gren­zen sind hier längst auf­ge­ho­ben. So war es auch bei­lei­be kein rei­nes Jazz-Fes­ti­val, der Pop nahm auch gehö­ri­gen Raum ein.
Den Anfang mach­te das sehr relax­te „Diet­helm Duo“. Mit der Beset­zung Fen­der Rho­des und Saxo­phon spiel­ten sie ange­nehm ent­spann­te Kom­po­si­tio­nen mit unüber­hör­ba­ren Wur­zeln im West-Coast-Cool-Jazz. Ihre fein gewo­be­nen, durch­aus mal psy­che­de­lisch ange­hauch­ten klar struk­tu­rier­ten Songs glei­chen dabei Aus­flü­ge in ver­träum­te Gegen­den.
Das Quar­tett um den Gitar­ris­ten Dani­el Stel­ter, dass die Büh­ne danach erober­te, führ­te in ganz ande­re Regio­nen. Denn sie heiz­ten unbarm­her­zig ein, als wür­den sie schon ewig zusam­men spie­len. Dabei waren die Jazz­ta­ge ihr ers­ter Live-Auf­tritt über­haupt, bis­her spiel­ten sie nur im Stu­dio zusam­men. Uner­bitt­lich groov­ten sie mit allen Mit­teln und ent­pupp­ten sich dabei als ech­te Klang-Extre­mis­ten. Vom ers­ten Ton jedes neu­en Stü­ckes an ver­folg­ten sie die Eska­la­ti­on ihres kna­cki­gen Sounds mit enor­mer Kon­se­quenz. Die Rasanz, mit der die­se Mischung aus Jazz, Fusi­on und har­tem Rock von einem Extrem ins ande­re kippt, war beein­dru­ckend. Genau­so wie die Sicher­heit, mit der die vier jun­gen Musi­ker das mit vol­lem Kör­per­ein­satz vom wip­pen­den Fuß bis zur exal­tier­ten Mimik umsetz­ten.
Frau­Con­tra­Bass ver­hieß dann erst ein­mal wie­der kam­mer­mu­si­ka­li­sche Ent­span­nung. Aber von wegen: Auch das Duo von Sän­ge­rin Katha­ri­na Debus und Bas­sist Hanns Höhn ließ kaum Luft zum Aus­ru­hen. Dafür hat­ten ja auch die reich­lich dimen­sio­nier­ten Umbau­pau­sen genü­gend Gele­gen­heit gege­ben. Auf die Idee muss man frei­lich erst ein­mal kom­men, mit Bass und Gesang aus­ge­such­te Per­len der Pop­ge­schich­te neu zu inter­pre­tie­ren. Stevie Won­der hat die­se artis­ti­sche Duo genau­so auf dem Pro­gramm wie Micha­el Jack­son oder Brit­ney Spears. Und weil Debus eine sehr wand­lungs­fä­hi­ge Sän­ge­rin auch ohne Text ist und Höhn sei­nen Kon­tra­bass auch mal zum Schlag­zeug ver­wan­delt, funk­tio­nier­te das wun­der­bar.
Funk­tio­nie­ren trifft auch die Vor­ge­hens­wei­se von „Trance Groo­ve“ sehr genau. Die sie­ben Musi­ker um den Schlag­zeu­ger Ste­fan Krach­ten groo­ven mit scham­lo­sem Ekkle­ti­zis­mus und gna­den­lo­ser guten Lau­ne seit über fünf­zehn Jah­ren durch Jazz, Rock und Funk. Und sie klin­gen immer noch frisch und unver­braucht, vol­ler Ideen und vor allem Spon­ta­nei­tät und ech­ter Kraft – auch in der Show­büh­ne Mainz. Ein wirk­lich mit­rei­ßen­der und fet­zi­ger Abschluss des Abends – für die Jazz­ta­ge Mainz aller­dings gera­de ein­mal die Halb­zeit, denn auch der Sams­tag war ja wie­der vol­ler Musik.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

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