Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: anthologie

Ins Netz gegangen (20.7.)

Ins Netz gegan­gen am 20.7.:

  • «Digi­tal Huma­ni­ties» und die Geis­tes­wis­sen­schaf­ten: Geist unter Strom – NZZ Feuil­le­ton – sehr selt­sa­mer text von urs haf­ner, der vor allem wohl sei­ne eige­ne skep­sis gegen­über „digi­tal huma­ni­ties“ bestä­ti­gen woll­te. dabei unter­lau­fe ihm eini­ge feh­ler und er schlägt ziem­lich wil­de vol­ten: wer „huma­ni­ties“ mit „human­wis­sen­schaf­ten“ über­setzt, scheint sich z.b. kaum aus­zu­ken­nen. und was die ver­zer­ren­de dar­stel­lung von open access mit den digi­tal huma­ni­ties zu tun hat, ist auch nicht so ganz klar. ganz abge­se­hen davon, dass er die fächer zumin­dest zum teil fehl­re­prä­sen­tiert: es geht eben nicht immer nur um clo­se rea­ding und inter­pre­ta­ti­on von ein­zel­tex­ten (abge­se­hen davon, dass e‑mailen mit den digi­tal huma­ni­ties unge­fähr so viel zu tun hat wie das nut­zen von schreib­ma­schi­nen mit kittler’schen medi­en­theo­rien …)
  • Lyrik: Reißt die Sei­ten aus den Büchern! | ZEIT ONLINE – net­te idee von tho­mas böhm, die lyrik zu ver­ein­zeln (statt in lyrik­bän­den zu sam­meln), das gedicht als opti­sches sprach­kunst­werk zu ver­mark­ten (auch wenn ich sei­ne argu­men­ta­tio­nen oft über­haupt nicht über­zeu­gend fin­de)
  • Ein­sam auf der Säu­le « Lyrik­zei­tung & Poet­ry News – gute kri­tik­kri­tik zur bespre­chung des aktu­el­len „Jahr­buchs für Lyrik“ in der „zeit“, die auch mich ziem­lich ver­wun­dert hat.

    Unter­schei­dung, Alter­na­ti­ven, Schwer­punkt­set­zung? Fehl­an­zei­ge. Rez. zieht es vor, sich als schar­fe Kri­ti­ke­rin zu insze­nie­ren, jede Dif­fe­ren­zie­rung schwäch­te das Bild nur. Lie­ber auf der Schul­ter von Rie­sen, hier neben Krü­ger, Benn & Co. vor allem Jos­sif Brod­sky, auf die behaup­tet mage­re deut­sche Sze­ne her­ab­bli­cken. Ein­sam ist es dort oben auf der Säu­le!

  • Ver­kehrs­si­cher­heit: Brun­ners letz­te Fahrt | ZEIT ONLINE – sehr inten­si­ve repor­ta­ge von hen­ning suss­e­bach über die pro­ble­me der/​mit altern­den auto­fah­rern (für mei­nen geschmack manch­mal etwas trä­nen­drü­sig, aber ins­ge­samt trotz­dem sehr gut geschrie­ben)

    Urlaubs­zeit in Deutsch­land, Mil­lio­nen Rei­sen­de sind auf den Stra­ßen. Da biegt ein 79-Jäh­ri­ger in fal­scher Rich­tung auf die Auto­bahn ein – fünf Men­schen ster­ben. Ein Unglück, das zu einer bri­san­ten Fra­ge führt: Kann man zu alt wer­den fürs Auto­fah­ren?

  • Lyrik und Rap: Die här­tes­te Gang­art am Start | ZEIT ONLINE – uwe kol­be spricht mit mach one (sei­nem sohn) und kon­stan­tin ulmer über lyrik, raps, rhyth­mus und the­men der kunst

    Dass ich mit mei­nen Gedich­ten kein gro­ßes Publi­kum errei­che, ist für mich etwas, wor­un­ter ich sel­ten lei­de. Ich möch­te das, was ich mache, auf dem Niveau machen, das mir vor­schwebt. Dabei neh­me ich auch kei­ne Rück­sicht mehr. Ich gehe an jeden Rand, den ich errei­chen kann.

  • Rai­nald Goetz: Der Welt­ab­schrei­ber | ZEIT ONLINE – sehr schö­ne und stim­men­de (auch wenn das thea­ter fehlt …) wür­di­gung rai­nald goet­zes durch david hugen­dick anläss­lich der bekannt­ga­be, dass goetz dies­jäh­ri­ger büch­ner-preis-trä­ger wird

    Die ein­zi­ge Reak­ti­on auf die Zudring­lich­keit der Welt kann nur in deren Pro­to­koll bestehen, die zugleich ein Pro­to­koll der eige­nen Über­for­de­rung sein muss.

  • „Pan­ora­ma­frei­heit“: Wider den Urhe­ber­rechts-Extre­mis­mus – Süddeutsche.de – leon­hard dobusch zum ver­such, in der eu das urhe­ber­recht noch wei­ter zu ver­schär­fen:

    Wir alle sind heu­te ein biss­chen wie Lich­ten­stein oder War­hol. Wir erstel­len und tei­len stän­dig Fotos und Vide­os, in denen Wer­ke ande­rer vor­kom­men. Zeit, dass das Urhe­ber­recht dar­auf ein­geht.

  • Stravinsky’s Ille­gal “Star Span­gled Ban­ner” Arran­ge­ment | Timo­thy Judd – ich wuss­te gar nicht, dass es von stra­win­sky so ein schö­nes arran­ge­ment der ame­ri­ka­ni­schen hmy­ne gibt. und schon gar nicht, dass die angeb­lich ver­bo­ten sein soll …
  • Essay Grie­chen­land und EU: So deutsch funk­tio­niert Euro­pa nicht – taz.de – ulrich schul­te in der taz zu grie­chen­land und der eu, mit vie­len sehr guten und tref­fen­den beob­ach­tun­gen & beschrei­bun­gen, unter ande­rem die­sen

    Von CSU-Spit­zen­kräf­ten ist man inzwi­schen gewohnt, dass sie jen­seits der baye­ri­schen Lan­des­gren­ze so dumpf agie­ren, als gös­sen sie sich zum Früh­stück fünf Weiß­bier in den Hals.
    […] Das Char­man­te an der teils irr­lich­tern­den Syri­za-Regie­rung ist ja, dass sie ein­ge­spiel­te Riten als nackt ent­larvt.

  • Sich „kon­struk­tiv ver­hal­ten“ heißt, ernst genom­men zu wer­den | KRZYSZTOF RUCHNIEWICZ – Stel­lung­nah­me ehe­ma­li­ger Mit­glie­dern des Wis­sen­schaft­lich Bera­ter­krei­ses der (sowie­so über­mä­ßig vom Bund der Ver­trei­be­nen domi­nier­ten) Stif­tung Flucht, Ver­trei­bung, Ver­söh­nung zur Far­ce der Wahl des neu­en Direk­tors unter Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Moni­ka Grüt­ters
  • Kon­sum: Klei­ne Geschich­te vom rich­ti­gen Leben | ZEIT ONLINE – marie schmidt weiß nicht so recht, was sie von craft beer, hand­ge­rös­te­tem kaf­fee und dem gan­zen zele­brier­ten super-kon­sum hal­ten soll: fetisch? rück­be­sin­nung alte hand­werk­li­che wer­te? oder was?
  • Alle Musik ist zu lang – wun­der­ba­re über­le­gun­gen von diet­mar dath zur musik, der welt und ihrer phi­lo­so­phie

    Alle bereits vor­han­de­ne, also auf­ge­schrie­be­ne oder auf­ge­zeich­ne­te Musik, ob als Sche­ma oder als wie­der­ga­be­fä­hi­ge Auf­füh­rung erhal­ten, ist für Men­schen, die heu­te Musik machen wol­len, zu lang, das heißt: Das kön­nen wir doch nicht alles hören, wir wol­len doch auch mal anfan­gen. Wie gesagt, das gilt nicht nur für die Wer­ke, son­dern schon für deren Mus­ter, Prin­zi­pi­en, Gat­tun­gen, Tech­ni­ken.
    […] Musik hält die Zeit an, um sie zu ver­brau­chen. Wäh­rend man sie spielt oder hört, pas­siert alles ande­re nicht, inso­fern han­delt sie von Ewig­keit als Ereig­nis- und Taten­lo­sig­keit. Aber bei­de Aspek­te der Ewig­keit, die sie zeigt, sind in ihr nicht ein­fach irgend­wie gege­ben, sie müs­sen her­ge­stellt wer­den: Die Ereig­nis­lo­sig­keit selbst geschieht, die Taten­lo­sig­keit selbst ist eine musi­ka­li­sche Tat.

  • Lite­ra­tur­blogs are bro­ken | The Dai­ly Frown – fabi­an tho­mas attes­tiert den „lite­ra­tur­blogs“ „feh­len­de Distanz, Gefall­sucht und Harm­lo­sig­keit aus Prin­zip“ – und ange­sichts mei­ner beob­ach­tung (die ein eher klei­nes und unsys­te­ma­ti­sches sam­ple hat) muss ich ihm lei­der zustim­men.
  • Inter­view ǀ „Ent-iden­ti­fi­ziert euch!“—der Frei­tag – groß­ar­ti­ges gespräch zwi­schen harald falcken­berg und jona­than mee­se über wag­ner, bay­reuth, kunst und den gan­zen rest:

    Ja, ich hab total auf lieb Kind gemacht. Ich merk­te ja schon, dass ich im Wag­ner-Forum so als Mons­ter dar­ge­stellt wur­de. Ich bin kein Mons­ter. Ich woll­te das Ding nur radi­ka­li­sie­ren. Ich hab auf nett gemacht und so getan, als wäre ich gar nicht ich selbst. Was ich ja immer tue. Sei nie­mals du selbst. Kei­ne Selbst­su­che, bit­te. Kei­ne Pil­ger­fahrt. Kei­ne Mön­che­rei. Ich bin ein­fach wie ’n Spiel­kind da ran­ge­gan­gen, und ich dach­te, jetzt geht’s ab.
    […] Kul­tur ist genau­so beschis­sen wie Gegen­kul­tur. Main­stream ist genau­so beschis­sen wie Under­ground. Kul­tur und Gegen­kul­tur ist das Glei­che. Poli­tik kannst du nicht mit Kul­tur bekämp­fen. Son­dern nur mit Kunst. Du kannst nicht eine neue Par­tei grün­den, weil sie genau­so schei­ße ist wie jede ande­re. Du kannst kei­ne neue Reli­gi­on grün­den, weil sie genau­so schei­ße ist wie alle ande­ren. Du kannst kei­ne neue Eso­te­rik schaf­fen, weil sie genau­so schei­ße ist wie jede ande­re. Du kannst kei­ne Spi­ri­tua­li­tät schaf­fen, die bes­ser wäre als alle ande­ren.
    Jede Par­tei ist gleich schei­ße, jede Reli­gi­on ist gleich zukunfts­un­fä­hig, jede Eso­te­rik ist abzu­leh­nen. Ich benut­ze Eso­te­rik, aber ich iden­ti­fi­zie­re mich nicht damit. Ich iden­ti­fi­zie­re mich nicht mit Wag­ner, ich iden­ti­fi­zie­re mich nicht mit Bay­reuth, ich iden­ti­fi­zie­re mich mit gar nichts.
    Ent-iden­ti­fi­ziert euch! Seid nicht mehr! Seid eine Num­mer! Seid end­lich eine Num­mer!
    Das ist geil. Seid kein Name! Seid kein Indi­vi­du­um! Seid kein Ich! Macht kei­ne Nabel­be­schau, kei­ne Pil­ger­rei­se, geht nie­mals ins Klos­ter, guckt euch nie­mals im Spie­gel an, guckt immer vor­bei!
    Macht nie­mals den Feh­ler, dass ihr auf den Trip geht, euch selbst spie­geln zu wol­len. Ihr seid es nicht. Es ist nicht die Wich­tig­tue­rei, die die Kunst aus­macht, son­dern der Dienst an der Kunst. Die Kunst ist völ­lig frei. Mei­ne Arbeit, die ist mir zuzu­schrei­ben, aber nicht die Kunst. Die spielt sich an mir ab.

  • Eine Bemer­kung zur Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung by Fach­di­dak­tik Deutsch -

    »Fak­ten­wis­sen« kommt nicht zuerst, wenn Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung ernst genom­men wird – Kön­nen kommt zuerst. Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung bedeu­tet, die Ler­nen­den zu fra­gen, ob sie etwas kön­nen und wie sie zei­gen kön­nen, dass sie es kön­nen. Weil ich als Leh­ren­der nicht mehr zwin­gend sagen kann, auf wel­chem Weg die­ses Kön­nen zu errei­chen ist. Dass die­ses Kön­nen mit Wis­sen und Moti­va­ti­on gekop­pelt ist, steht in jeder Kom­pe­tenz­de­fi­ni­ti­on. Wer sich damit aus­ein­an­der­setzt, weiß das. Tut das eine Lehr­kraft nicht, ist das zunächst ein­fach ein­mal ein Zei­chen dafür, dass sie sich nicht mit Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung beschäf­tigt hat. Fehlt die­se Bereit­schaft, müs­sen zuerst die Vor­aus­set­zun­gen dafür geschaf­fen wer­den.

  • Essay zum UN-Welt­kul­tur­er­be: Mord mit bes­ten Absich­ten – taz.de -

    Und immer noch drän­geln die Städ­te, die Dör­fer, die Regio­nen, dass sie ja als Ers­te ein­bal­sa­miert wer­den. Wie die Län­der, die sich um Olym­pi­sche Spie­le bewer­ben, ohne sich klar­zu­ma­chen, dass sie damit ihren Unter­gang her­auf­be­schwö­ren wie Grie­chen­land mit Athen.

  • Wie man nicht für die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung argu­men­tiert | saschalobo.com – sascha lobo seziert den tweet von rein­hold gall. wie (fast) immer exzel­lent. scha­de (und mir unver­ständ­lich), dass sol­che tex­te in den gro­ßen, publi­kums­wirk­sa­men medi­en kei­nen platz fin­den – war­um steht das nicht im print-spie­gel, der gedruck­ten faz oder süd­deut­schen?
  • Sex (und gen­der) bei der Fifa | Männ­lich-weib­lich-zwi­schen – ein schö­ner text zum pro­blem der bestim­mung des geschlechts, des bio­lo­gi­schen, wie es die fifa ver­sucht – näm­lich über den tes­to­ste­ron-spie­gel. mit dem (inzwi­schen erwart­ba­ren) resul­tat: so kann man das jeden­falls nicht machen.

    an darf also ver­mu­ten und hof­fen, dass auch die­se Defi­ni­ti­on von sex zu sport­li­chen Zwe­cken dem­nächst, wie bis­her alle ande­ren Defi­ni­tio­nen auch, als unbrauch­bar und absurd erwei­sen – aber wohl, eben­falls wie immer, erst zu spät.

„und dann war Krieg.“ – Der große Krieg und die Lyrik

Gleich zwei Antho­lo­gien mit deut­scher Lyrik aus der Zeit des Ers­ten Welt­kriegs sind zufäl­lig fast zusam­men bei mir auf­ge­schlan­gen: Flo­ri­an Voß‘ Samm­lung „Welt­krieg! Gefal­le­ne Dich­ter 1914–1918″ und „Die Dich­ter und der Krieg“, ein von Tho­mas Anz und Joseph Vogl her­aus­ge­ge­be­nes Reclam-Bänd­chen.

voß, gefallen!Auch wenn mir die im Alli­te­ra-Ver­lag erschie­ne­ne Edi­ti­on zunächst sehr gut gefal­len hat: Anz & Vogl lie­fern die bes­se­re Antho­lo­gie. Dabei sind die bei­den Bän­de ganz unter­schied­lich ange­legt und durch­aus auch bei­de ver­dienst- und wert­voll. Aber trotz­dem emp­feh­le ich das Reclam-Heft eher – nicht nur wegen des bes­se­ren Preis-Leis­tungs­ver­hält­nis­ses (7,4 Cent pro Gedicht vs. 19 Cent). Anz & Vogl haben aller­dings auch einen ande­ren Anspruch. Wäh­rend Voß nur Dich­ter berück­sich­tigt, die im Krieg umge­bracht wur­den und auch die­se per­so­na­le Aus­wahl noch ästhe­tisch wei­ter ein­schränkt:

Ich habe in die­ser Antho­lo­gie aus­schließ­lich deutsch­spra­chi­ge Lyri­ker ver­sam­melt, die der Moder­ne zuge­hö­rig und zudem im Ers­ten Welt­krieg gefal­len sind oder an des­sen Fol­gen star­ben. Lyri­ker‚ die in ihren Gedich­ten den Krieg ver­herr­lich­ten, wur­den von mir nicht in Betracht gezo­gen. (64)

die dichter und der kriegDage­gen bemüh­sen sich Anz & Vogl um gro­ße Band­brei­te, mög­li­che Reprä­sen­ti­vi­tät der „Lite­ra­tur­land­schaft“ bzw. der deutsch­spra­chi­gen Lyrik­pro­duk­ti­on zwi­schen 1914 und 1918. Natür­lich legen sie auch ästhe­ti­sche Kri­te­ri­en an (die sie im Gegen­satz zu Voß frei­lich nicht deut­lich offen­le­gen) und natür­lich bleibt die Aus­wahl – bei so knap­pem Umfang (1982 hat­ten die bei­den Her­aus­ge­ber das glei­che The­ma schon ein­mal aus­führ­li­cher bear­bei­tet), der bei bei­den Samm­lun­gen den Abdruck von etwas mehr als 50 Gedich­ten ermög­lichgt – pro­ble­ma­tisch. Aber die Übeschnei­dun­gen sind gering: Zwei Gedich­te fin­den sich in bei­den Samm­lun­gen, Kurd Adlers „Geschütz“ und Georg Tra­kls „Gro­dek“ – bei­des natür­lich auch Gedich­te, die man nicht ein­fach aus­las­sen kann. Noch ein klei­ner Punkt gefällt mir bei Reclam bes­ser: Jedes Gedicht hat einen Quel­len­nach­weis – bei Voß gibt es das über­haupt nicht. Und das Nach­wort von Anz und Vogl ist auch deut­lich sub­stan­zi­el­ler als das von Voß.

Dafür kann Voß für sich gel­tend machen, mehr von den (fast) ver­ges­se­nen Dich­tern (bei ihm kom­men natur­ge­mäß kei­ne Frau­en vor, bei Anz & Vogl sind immer­hin drei Dich­te­rin­nen auf­ge­nom­men wor­den) zu zei­gen: Kurd Adler eben, aber auch Hans Ehren­baum-Dege­le oder Georg Hecht und Wal­ter Ferl, um nur eini­ge weni­ge zu nen­nen.

Die Dich­ter und der Krieg“ ist dage­gen deut­lich viel­fäl­ti­ger: In den the­ma­tisch geglie­der­ten Kapi­teln – z.B. „Beginn“, „Krieg und Kunst“, „Kriegs­ma­schi­nen“, „Vater­land – Mensch­heit“ und „Schuld und Trau­er“ – sind eben auch kriegs­be­geis­ter­te Lyri­ker ver­tre­ten und auch pro­pa­gan­dis­ti­sche Ver­se wie Ernst Lissau­ers „Haß­ge­sang gegen Eng­land“ oder Will Ves­pers „Lie­be oder Haß?“ sind abge­druckt. Aber obwohl alle drei Her­aus­ge­ber auf ein unge­heu­er gro­ßes Lyrik­re­per­toire zurück­grei­fen kön­nen – wäh­rend des Krie­ges erleb­te die Vers­dich­tung eine enor­me Kon­junk­tur – sind in bei­den Aus­wahl­bän­den nur ganz wenig bekann­te Gedich­te ver­tre­ten, die auch unab­hän­gig von Kriegs­ju­bi­lä­um und Erin­ne­rung noch gele­sen wer­den. Ich ver­mu­te, dass hängt einer­seits mit ästhe­ti­schen Grün­den zusam­men – vom frü­hen Expres­sio­nis­mus, der moder­nen Lite­ra­tur über­haupt der 1910er und 1920er Jah­re wird heu­te nur noch wenig rezi­piert -, hat ande­rer­seits sicher­lich aber auch the­ma­ti­sche Grün­de: Kriegs­dich­tung (oder auch Anti­kriegs­dich­tung) ent­spricht nur bedingt dem heu­te vor­herr­schen­den Anspruch an Lyrik und ihre The­men … Das bei­des zu ändern, dazu sind die­se zwei Samm­lun­gen zur Lek­tü­re unbe­dingt zu emp­feh­len.

Voß, Flo­ri­an (Hrsg.): Welt­krieg! Gefal­le­ne Dich­ter 1914–1918. Mün­chen: Alli­te­ra 2014 (Lyrik­edi­ti­on 2000). 70 Sei­ten. ISBN 9783869066332.

Anz, Tho­mas & Joseph Vogl (Hrsg.): Die Dich­ter und der Krieg. Deut­sche Lyrik 1914–1918. Stutt­gart: Reclam 2014. 103 Sei­ten. ISBN 9783150192559.

Aus-Lese #24

Arno Schmidt zum Ver­gnü­gen. Stutt­gart: Reclam 2013. 191 Sei­ten.

Die­ses klei­ne, von Susan­ne Fischer (der Geschäfts­füh­re­rin der Arno-Schmidt-Stif­tung) her­aus­ge­ge­be­ne Bänd­chen hält genau, was der Titel ver­spricht: Ver­gnüg­li­che Streif­zü­ge durch das Schaf­fen Schmidts. The­ma­tisch in 14 Kapi­tel geord­net, ver­sam­melt das hier Bon­mots, Ein­fäl­le, Aus­sprü­che und kur­ze Abschnit­te, die im wei­tes­ten Sin­ne ver­gnüg­lich sind: Weil sie humo­rig for­mu­liert sind oder afu eben die­se Wei­se bestimm­te Din­ge beob­ach­ten. Eine wun­der­ba­re Lek­tü­re für zwi­schen­durch (weil das fast immer nur kur­ze Abschnit­te von weni­gen Sät­zen sind).

Ulf Erd­mann Zieg­ler: Nichts Wei­ßes. Ber­lin: Suhr­kamp 2013. 259 Sei­ten.

Zieg­ler erzählt in Nichts Wei­ßes die Lebens­ge­schich­te einer Schrift­ge­stal­te­rin und die Idee der per­fek­ten, weil abso­lut unau­fäl­li­gen Schrift am Umbruch zum Com­pu­ter-/PC-Zeit­al­ter. Das wird aber erst auf den letz­ten Sei­ten rich­tig deut­lich: Dann wird klar, dass es hier vor allem um das Ende des klas­si­schen Guten­berg-Zeit­al­ters mit sei­ner Fixie­rung auf Schrift und Text (und deren Her­stel­lung, um die es hier – im Bereich der Typo­gra­phie – ja vor allem geht) geht. Das ist durch­aus raf­fi­niert, etwa in der Andeu­tung der Auf­lö­sung der Text­do­mi­nanz durch die (Gebrauchs-)Grafik der Wer­bung und ähn­li­che Vor­gän­ge, auch die all­mäh­lich wach­sen­de Domi­nanz der Com­pu­ter ist ganz geschickt erzählt, auch wenn das am Ende etwas platt wird. Über­haupt erzählt Zieg­ler durch­wegs gut und klug, aber sprach­lich ohne beson­de­re Fas­zi­na­ti­on für mich. Auch schien mir das Ziel des Tex­tes lan­ge Zeit nicht so recht klar, zumal es wei­te Abschwei­fun­gen gibt, die nicht so recht moti­viert sind – etwa die Bli­cke in die Kind­heit: Das sind for­mal etwas frag­wür­di­ge Lösun­gen, um die (inhalt­li­che) Moti­va­ti­on der Hel­din Mar­leen hin­zu­be­kom­men und aus­führ­lich zu erklä­ren. Der Schluss ist dann etwas unver­mit­telt, die Wen­de zum Com­pu­ter­zeit­al­ter scheint schon über den Text hin­aus zu gehen.

Über­haupt ver­liert das dann an Kraft, wenn es um die eigent­li­chen Lebens­we­ge der Prot­ago­nis­tin geht. Wo Zieg­ler die „Hin­ter­grün­de“ – das Auf­wach­sen im Deutsch­land der 70er/​80er Jah­re etc. – schil­dert, ist es viel prä­zi­ser und fas­zi­nie­ren­der als im Lebens­lauf Mar­leens, der etwas blass bleibt.

Genervt haben mich etwas die ober­fläch­lich ver­hüll­ten Anspie­lun­gen auf rea­le Wel­ten – IBM heißt hier IOM (office statt bureau), Gre­no in Nörd­lin­gen Vol­pe, die Ande­re Biblio­thek ist die Eige­ne gewor­den und so wei­ter – das ist so durch­sich­tig, dass es eigent­lich sinn­los ist und den Text irgend­wie bil­lig wir­ken lässt.

Hans Franck: Die Pil­ger­fahrt nach Lübeck. Eine Bach-Novel­le. Güters­loh: Ber­tels­mann 1952. 80 Sei­ten.

Franck schil­dert hier die berühm­te „Urlaubs­rei­se“ Bachs zum gro­ßen Orga­nis­ten Diet­rich Bux­te­hu­de nach Lübeck, die ein klei­nes biss­chen län­ger dau­er­te als geplant: Der Arn­städ­ter Rat hat­te sei­nem Orga­nis­ten einen Monat Urlaub geneh­migt, nach mehr als vier Mona­ten war Bach wie­der in Thü­ri­gen zurück. Francks Novel­le pen­delt zwi­schen pseu­do­ba­ro­ckem Satz­ge­schwur­bel und moder­nem Men­schen­bild, gar­niert mit einer def­ti­gen Pri­se über­bor­den­der Fröm­mig­keit. Weder lite­ra­risch noch his­to­risch beson­ders wert­voll, aber eine net­te Kurio­si­tät für eine Stun­de Zug­fahrt …

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