Christoph Irniger ist ein wirklich interessanter Schweizer. Der noch ziemlich junge Saxophonist hat bei Intakt bereits im letzten Jahr mit seinem Trio die wunderbar kraftvolle CD Gowanuns Canal veröffentlicht. Und jetzt legt er nach – und noch eines drauf. Mit der losen Formation „Christoph Irniger Pilgrim“, die in etwas anderer Besetzung schon eine Aufnahme gemacht hat (die ich (noch) nicht kenne), hat er wieder bei Intakt (die sind eben wirklich gut, die Züricher …) Italian Circus Story vorgelegt. Und das ist tolle Musik, die mich beim ersten Hören berührt, beim zweiten begeistert und beim dritten entzückt hat.
Schon der Beginn ist ziemlich cool: schleicht sich auf weichen Klangpfoten hinein, mit Zeit für Entwicklungen und Entdeckungen. Überhaupt die Entwicklung: Wie spannend und vielfältig es sein kann, die Ideen zu entfalten, hört man wohl am besten beim viertelstündigen Titelstück Italian Circus Story. Das ist keine akrobatische Verrenkung (für die ich ja durchaus auch einiges übrig habe …), sondern eine phantastische Geschichte voller Verwandlungen, Überraschungen und Entwicklungen, Höhepunkte und Tiefen. Nebenbei bemerkt klingt die Aufnahme auch sehr gut, hat einen schönen warmen und plastischen Sound. Überhaupt zeichnet die ganze Italian Circus Story eine große Präzision des klanglichen Gefüges aus. Die Klänge verfügen in so ziemlich jedem Moment über beeindruckende Klarheit – trotz der (zeitweise) hohen Dichte und durchaus vorhandenen Komplexität erscheinen sie wie selbstverständlich und fast natürlich. Das hängt damit zusammen, dass das Quintett aus Klangpilgern besteht: Fest stehen sie auf gemeinsamen Grund, überzeugt in ihrem Tun, sehr selbstsicher und selbstbewusst. Und das durchaus mit Grund, denn sie sind hörbar alle große Könner und erstaunlich reife Stilisten. Das zeigt sich gerade immer wieder darin, dass sie Zeit haben oder sich Zeit nehmen, die Musik nicht drängen, sondern ihr Freiraum zur inneren und äußeren Entfaltung geben.
Die Klarheit der Farben und Motive, das oft auch sehr durchsichtig Ensemble, selbst bei erheblicher klanglicher Dichte beziehungsweise momentaner Verdichtung vermittelt so immer wieder eine dieser Musik innewohnende poetische Freiheit. Dabei ist alles sehr konzentriert, genau und im höchsten Maße ausgefeilt – nicht die Freiheit des egal was, des Wartens auf die Inspiration hört man hier, sondern die Freiheit der Vorbereitung – und der daraus resultierenden Gewissheit und Überzeugung (des Gelingens).
Christoph Irniger ist dabei selbst als Saxophonist gar nicht so sehr präsent, wie man das von Bandleadern gewohnt ist: Er drängelt nicht, sondern lässt viel Raum – unter anderem für den klangsinnigen Pianisten Stefan Aeby oder den schwebenden Gitarrensound von Dave Gisler. Aber egal, wer gerade zu hören ist: Immer wieder beeindruckt die konzentrierte Gelassenheit der Musik, die erarbeitete, hergestellte Lockerheit und die angespannte Aufmerksamkeit für jedes rhythmische, motivische und klangliche Detail.
Christoph Irniger Pilgrim: Italian Circus Story. Intakt CD 238. Intakt Records 2014.
@chirniger
Gerade eine wunderbare Review gefunden von Matthias Mader. Interessanterweise geht er dabei auch kurz auf die… http://t.co/SqaFvl30Vv