Gegen die Bil­dungs­hu­be­rei, die vie­le Inter­pre­ten vor ihre Lek­tü­ren von Gedich­te stel­len, schreibt Jahn Kuhl­brodt1 auf „Post­kul­tur“ in einer klei­nen The­sen­samm­lung zur rezi­pi­en­ten­ori­en­ten Her­me­neu­tik lyri­scher Sprach­wer­ke (wenn man das alles so nen­nen mag …):

Ver­ste­hen setzt Bil­dung nicht vor­aus, son­dern ist die Bil­dung. Der Rezi­pi­ent also bil­det sich im Erschlie­ßen des Tex­tes selbst, ent­wi­ckelt sein Voka­bu­lar und Werk­zeug, und somit sich selbst.

Und gegen die Behaup­tung der „Unver­ständ­lich­keit“, die ja tat­säch­lich auch theo­re­tisch gar nicht so ein­fach zu fas­sen ist, setzt er die ganz und gar kla­re, unzwei­deu­ti­ge Ansa­ge:

Es gibt kei­ne unver­ständ­li­chen Gedich­te (kein ein­zi­ges).

Und damit ist schon klar: Zum Lesen von Lyrik braucht es kei­ne beson­de­ren Kennt­nis­se, kein spe­zi­el­les Exper­ten­wis­sen um die lite­ra­tur- und motiv­ge­schicht­li­chen Zusam­men­hän­ge, kein wie auch immer gear­te­tes Spe­zi­al­werk­zeug im Umgang mit dem Text, son­dern nur ( – ja, nur! Wenn das immer so ein­fach wäre!) einen offe­nen Ver­stand und die Bereit­schaft, sich auf den jewei­li­gen Text auch wirk­lich ein­zu­las­sen und ihn nicht nur abzu­fer­ti­gen (mei­ner Erfah­rung nach ist das aber schon der schwie­rigs­te Schritt über­haupt bei jeder Lek­tü­re: Sich auf den Text und sei­ne Ver­fasst­heit, sei­ne Struk­tu­ren und sei­ne Gemacht­heit, sei­ne Bil­der, Gedan­ken und all das wirk­lich ganz ein­zu­las­sen – das gelingt bei­lei­be nicht immer!). Dann ist aber auch der drit­te Punkt Kuhl­brodts sowie­so schon klar, näm­lich:

Jedes Gedicht ist kon­kret.

Tja. So ist das eben. Wirk­lich.

Show 1 foot­no­te

  1. So behaup­tet zumin­dest die Lyrik­zei­tung, der ich auch den Hin­weis auf die­se Sät­ze ver­dan­ke. Der Ein­trag bei „Post­kul­tur“ selbst ist ohne Autoren­kenn­zeich­nung.